Irrlichter der Wortgeschichte

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Gewöhnlich führt vom ersten Beleg eines sprachlichen Ausdrucks bis zu seiner gegenwärtigen Form ein geradliniger Weg. Das gilt für die Lautgestalt wie für das Bedeutungsprofil. Aus althochdeutschem fater wird ein moderner Vater, und Fuß, das auf fuoz zurückgeht, bezeichnet den nämlichen Körperteil wie sein Vorgänger. Der sachliche Unterschied zwischen Vieh (zuerst fihu) und englisch fee (ursprünglich feoh) lässt sich kulturhistorisch erklären: Als der Besitz an der Größe der Herden gemessen wurde, konnten deren Bestände auch eine pekuniäre Lesart wie "Betrag, Gebühr" annehmen.

Gleichwohl bietet uns die Sprachgeschichte auch seltsame Außenseiter, die das Regelwerk des üblichen Bedeutungswandels sprengen und für ihre Eskapaden eine maßgeschneiderte Erklärung verlangen. So wenn ein Mann semantisch zur Frau mutiert. Das französische Vokabel mannequin stammt eigentlich aus dem Niederländischen, wo es als Verkleinerungsform mannekijn "Männchen" von man abgeleitet ist. Vor allem in der Bedeutung "Modepuppe" wurde die Bezeichnung auch auf die Vorführpersonen von Kleidung übertragen. Ihr vorwiegend weibliches Geschlecht hat schon im Französischen, vor allem aber seit der Rückwanderung in germanische Sprachzonen die Etymologie vergessen lassen. Denn unter Mannequin versteht man primär eine Frau, die von Beruf Modellkleider präsentiert.

Apropos Puppe: Wer spontan eine Verwandtschaft dieses Wortes mit der Pupille vermutet, befindet sich auf der richtigen Spur. Gemeinsamer Nenner der beiden Bildungen ist lateinisch pupa "Mädchen". Die Diminutivform pupilla, ursprünglich "unmündiges, kleines Mädchen", verdankt ihre anatomische Lesart der Tatsache, dass sich der Betrachter im Auge seines Gesprächspartners als verkleinertes Bild, also wie in einem Spiegel, wiedersieht.

Der Autor ist Professor für Sprachwissenschaft in Salzburg.

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