Kinderlein und Frauerln

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Physische Kleinheit und emotionale Nähe auszudrücken gehört zu den Grundanliegen des Menschen und seiner Sprache. So hat auch das Deutsche ein eigenes Muster der Wortbildung, die Deminutiva entwickelt, die mit besonderen Ableitungssilben das Unterschreiten der Norm, aber auch Nuancen der Zärtlichkeit vermitteln. Aus der Hochsprache kennen wir dafür -chen und -lein. In der österreichischen Umgangssprache dominieren die Varianten -erl und -i.

Die Redensart "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" stellt das Kind dem Erwachsenen gegenüber. Die Liedzeile "Hänschen klein" bezeichnet diese Qualität sogar zweifach. Ein anderer Gesangstext, "Weißt du wie viel Sternlein stehen" (nicht als Quizfrage verstanden!), erlaubt verschiedene Deutungen: Bezieht sich die Verkleinerung auf unsere subjektive Wahrnehmung der Sterne oder drückt sich darin eine Gefühlsbeziehung aus? Wie etwa in französisch soleil, das ja etymologisch "Kleine Sonne" bedeutet.

Wenn ein italienischer Gastwirt uns als Digestiv Grappa anbietet und im zweiten Versuch auf Grappina oder gar Grappettina ausweicht, verleiht er seiner "Schnapsidee" ein intimes Flair.

Was dem Deutschen sein geliebtes Bier, ist dem Österreicher meist das Leibgetränk Wein. Wer aber meint, ein Bierchen oder Weinderl ziele auf homöopathische Dosen, der ist auf dem Holzweg. Ganz im Gegenteil - je mehr, umso lieber. Zärtlichkeit spricht aus den Kosenamen Annerl und Hansi: Und auch das Vogerl, das "auf Flügeln des Gesanges geflogen" kommt und von der Liebsten grüßt, ist zwar sicher kein Kranich, muss aber deswegen auch kein Kolibri sein. So wie das Fensterl, das die Angebetete aufmachen soll, größer sein darf als eine Schiffsluke.

Mitunter ist die Intimität nur noch in Spuren erkennbar. Herrl und Frauerl sind zu gängigen Wörtern für Hundehalter geworden. Da ist die Gefühlsbeziehung zum geliebten Haustier (Hünderl) auf den Besitzer übergegangen.

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