Kleist stand Pate

19451960198020002020

Laszlo Marton: Ein neuer junger ungarischer Erzähler.

19451960198020002020

Laszlo Marton: Ein neuer junger ungarischer Erzähler.

Werbung
Werbung
Werbung

In Guben, einer blühenden Kleinstadt in der Niederlausitz an der Neiße, entzweien sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts, also etwa zur Zeit, als auch ein gewisser Michael Kohlhase rächend und brandschatzend durch die Lande zieht, die Bürger mit ihrer Stadtverwaltung, wobei mancher zermalmt wird. Der junge Ungar Laszlo Marton, der sich bereits mit eigenen Büchern und Übersetzungen deutscher Literatur einen Namen gemacht hat, schrieb mit der "wahren Geschichte des Jacob Wunschwitz" einen historischen Roman, der sich nicht zuletzt mit dem Problem der Erzählbarkeit schlechthin auseinandersetzt. In einem Geflecht detailliert ausgeführter Handlungsstränge werden Protagonisten und Nebendarsteller wechselweise beleuchtet und der Leser durch das Netz des Romans gesurft. Der Autor läßt uns wissen, daß man die Geschichte eines Menschen nie isoliert von seiner Umgebung erzählen kann, daß die Schicksale zusammenhängen.

Marton erzählt mit Totalitätsanspruch. Dieser äußert sich in Genauigkeit und Detailreichtum, die den Eindruck der Historizität sowie der Authentizität erwecken sollen. Mit seinem Versuch universalen Erzählens knüpft er an Joyce und Musil an. Thematisch und stilistisch erinnert der Wunschwitz-Roman in erster Linie an Kleist. Marton hat aktiv an einer ungarischen Kleistausgabe mitgewirkt, dies hat auch in seinem eigenen Werk Spuren hinterlassen. Das Kohlhaas-Motiv etwa findet sich einerseits in der Gubener Bürgerschaft, die sich gegen Ungerechtigkeiten der Stadtverwaltung empört und ihren unfreiwilligen Führer in Jacob Wunschwitz gefunden hat. Andererseits taucht Michael Kohlhase auch tatsächlich auf, am Rande, als etwas nebulose Figur, bewundert und gefürchtet, Vorbild und Schrecken. Jacob Wunschwitz selbst wird hingegen eher als Pingpongball der Weltgeschichte durch die Ereignisse geschubst, ein Revolutionär durch Zufall, der - und darauf wird der Leser ausdrücklich hingewiesen - aus der sicheren Distanz des ausgehenden 20. Jahrhunderts betrachtet wird.

Kryptisch wird die Angelegenheit, wenn in kurzen Ausflügen zu jüngeren historischen Ereignissen auch Rosa Luxemburg und Wilhelm Pieck auftauchen und der Leser sich fragen muß, ob ihm hier eine Geschichtsphilosophie des Zufalls aufgetischt wird, oder eine Variante des Karma-Glaubens. Oder sind es einfach literarische Brüche, Verfremdungen, die einem modernen Autor anstehen, auch wenn er sich eines anachronistisch anmutenden Kleistschen Stils befleißigt? Trotz Martons Liebe zu erschöpfenden Erklärungen komplizierter Zusammenhänge bleiben hier Fragen offen. Aber der Leser braucht ja schließlich auch Raum für seine eigene Phantasie.

Die wahre Geschichte des Jacob Wunschwitz. Roman von Laszlo Marton Zsolnay Verlag, Wien 1999. 365 Seiten, geb., öS 316.-/e 23,01

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung