Kuscheljesusgutmensch

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Kunst und Religion

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Kunst und Religion

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Zu einem Kunstgespräch in der Zürcher Citykirche war ich eingeladen. Es ging um die Ausstellung aCross von Ralf Kopp. Als Theologin sollte ich vier Werke kommentieren, in denen der Künstler sich mit dem Kreuzsymbol auseinandersetzt: zwei Videoinstallationen, eine Passage aus großformatigen Fotografien, die die Allgegenwart der elementargeometrischen vier rechten Winkel vergegenwärtigen, und: das snugglecross.

Ja tatsächlich: da hängen niedliche kleine Kuschelkreuze aus bunten weichen Stoffen an der Wand, leibhaftige wattierte Jesusse, die ich jedem Kind ins Bettchen legen könnte. Kein Schmerz, keine Wundmale! Watte!

Albern, denke ich. Oder vielleicht komisch? Ironisch? Sträflich verharmlosend? Die protestantische Schultheologin wehrt sich: Nein, das darf nicht sein, denn Kreuz ist und bleibt doch Leid, Skandal, Schrecken aller Schrecken! Wo kämen wir denn sonst hin?

Dann der zweite Blick: Ist das die Umkehrprovokation? - Erst war es ein Skandal, das Leiden des Gekreuzigten ins Bild zu setzen, den gescheiterten Messias, der doch triumphal den Davidsthron hätte besteigen sollen. Und jetzt sind wir beleidigt, weil einer es wagt, das inzwischen in Unantastbarkeit erstarrte Leidsymbol zu wattieren: als Spielzeug? Soll das eine Lockerungsübung für besitzstandwahrende Gewohnheitsdogmatiker sein? Oder Verspottung meiner zur Wohlfühlreligion verkommenen Bürgerkirche? Oder Spieltrost für eine verblödende Gesellschaft?

Kunst ist gut, wenn sie mehr ist als eindeutig. Wenn sie sich entzieht und vermeintlich Selbstverständliches in Bewegung bringt. Ein snugglecross hängt jetzt auch bei mir zu Hause an der Wand. Weil es mir gefällt. Weil es mich mahnt, nicht im Dogma zu verhocken. Und weil heutzutage womöglich der größte Skandal darin besteht, ein Kuscheljesusgutmensch zu sein?

* Die Autorin ist Germanistin und evang. Theologin in der Schweiz

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