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"Auch die Lehrer aus der Kenyongasse lassen sich sichtlich mitreißen von der kreativen Methode. Es ist der Flow im Moment des Bauens, um den es letztlich geht."

Zwei graue Wände, etwa zwei Zentimeter hoch, verbunden durch eine schwarze runde Platte darüber, ebenso circa zwei Zentimeter groß: Der so entstehende Raum ist nach außen hin abgeschlossen durch rechts und links je vier schwarze Vierersteine. Auf dem kleinen Gebäude thront ein gelber Zweierstein mit Auge. Der Minibunker aus Lego soll nichts Geringeres darstellen als die Gefühle einer unbekannten alten Frau im Bild "Samson und Delilah" von Anthonis van Dyck (1630). Täglich pilgern hunderte Touristen und Kunstinteressierte an dem Bild, das den Verrat der Delilah an ihrem Geliebten darstellt, in Saal XI des Wiener Kunsthistorischen Museums (KHM), vorbei. Einige von ihnen bauen Aspekte des Bildes nun in Lego nach. Heute ist es eine Gruppe von Lehrern aus dem Gymnasium Kenyongasse, das sich zu einer Spezialführung mit Lego Serious Play angemeldet hat.

Lego Serious Play als Methode

"Herzlich willkommen zu unserem neuen Führungsprogramm", begrüßt Kulturvermittler Rolf Wienkötter die Gruppe aus circa 20 neugierigen Erwachsenen, die alle rund um einen großen Tisch mit jeder Menge bunt gemischtem Lego in der Mitte im Vermittlungsraum des Museums sitzen. "Ich möchte Ihnen heute das Ergebnis eines EU-Projektes vorstellen, das wir mit Partnern aus Slowenien und Serbien durchgeführt haben. Wenn Ihnen gefällt, was Sie heute kennenlernen, hoffen wir, dass Sie mit Ihren Schülern einen unserer Workshops besuchen." Was Wienkötter gleich zu Beginn anspricht, ist das sogenannte "HearMe"-Projekt, das die drei Kunstinstitutionen Narodna galerija in Ljubljana, Galerija Matice srpske in Novi Sad und das Wiener KHM über 17 Monate begleitete. Gestartet ist das Projekt im September 2016 im Rahmen des EU-Programms "Creative Europe", das den Kultur-und Kreativsektor in Europa fördern soll. Es umfasste rund 700 Workshops mit Jugendlichen aus 125 Schulen. Neben den Galerien in Ljubljana und Novi Sad setzt das KHM nun als erste Kulturinstitution regelmäßig Lego in der Vermittlung ein.

Lego als Coaching-Methode, das ist nichts Neues. Lego in der Kulturvermittlung sehr wohl. Bei Lego Serious Play (LSP) handelt es sich um eine in den späten 1990er-Jahren von der Lego Company entwickelte Methode. Die selbst in die Krise geratene Firma regte ihre CEOs damals an, Prozesse nicht nur zu denken, sondern auch regelrecht zu bauen. Wieder aus den roten Zahlen, überließ Lego die Methode dem freien Markt. Wer als Trainer in Lego Serious Play ausgebildet wird, darf sich seither "Facilitator" nennen und kann als solcher - ausgerüstet mit einem Koffer Lego -Teams in Unternehmen dazu anleiten, gemeinsam Ideen zu entwickeln, Prozesse anzustoßen oder auch Konflikte zu lösen.

Um Lösungen geht es auch dem Kunsthistorischen Museum - wenn auch um andere. Schon seit Jahren habe man versucht, Möglichkeiten zu finden, wieder mehr junges Publikum an das Museum zu binden bzw. auch bildungsferne Schichten zu erreichen, berichtet Programmleiter Andreas Zimmermann. Als der slowenische Projektpartner auf sie zugekommen sei, habe man daher sofort zugesagt.

Samsons "Superkraft"

All das passt zum Europäischen Kulturerbe-Jahr 2018, das eine drängende Frage in den Vordergrund rückt: Worin besteht der Wert des Kulturerbes für die Gesellschaft und wie kann dieses zeitgemäß und aktuell für die nächsten Generationen zugänglich gemacht werden? Am 8. Mai hat Rolf Wienkötter das Lego-Projekt bei der Veranstaltung "Nicht in Stein gemeißelt" im Kunsthistorischen Museum vorgestellt, um zu veranschaulichen, wie das kulturelle Erbe an junge Menschen vermittelt werden kann. Bereits der Titel des Projekts -"HearMe" - weist auf das Ziel hin, den Jugendlichen eine Stimme zu geben, den Austausch untereinander zu ermöglichen und Kunst somit als eine Möglichkeit zu präsentieren, über persönliche Themen und Gefühle zu reflektieren -vermittelt durch das Lego-Bauen.

Auch die Lehrer aus der Kenyongasse lassen sich sichtlich mitreißen von der kreativen Methode. In Anlehnung an Samsons "Superkraft" hat nun jeder drei Minuten Zeit, seine eigene Superkraft zu bauen. "Die knappe Zeit verhindert langes Nachdenken", erklärt Kulturvermittler Wienkötter. Es ist der Flow im Moment des Bauens, um den es letztlich geht. Geredet und erklärt wird danach. Wienkötter, der selbst einige Dutzend der Workshops im Pilotprojekt leitete, weiß mittlerweile, dass das Material Lego dermaßen attraktiv ist, dass sich dem kaum jemand entziehen kann. Das gilt auch für herausfordernde Zielgruppen. "13 bis 18, das ist ein schwieriges Alter für uns, aber mit Lego kommen wir wirklich an die Jugendlichen heran", sagt Wienkötter. Die letzte Minute bricht an, der Kulturvermittler schlägt noch eine Minute darauf. Letztlich stehen sie da, die Modelle mit Lego-Männchen, die fliegen können oder durch Mauern sehen, und ein reger Austausch über die Superkraft jedes Einzelnen beginnt.

"Was die Lehrer in ihrem Workshop erleben, ist auch eine große Stärke der Schüler-Workshops", erklärt Wienkötter. Oft sprachlose Jugendliche, häufig solche mit Migrationshintergrund, kämen ins Erzählen. Mit Hilfe der Modelle würden sich die Schüler weiter ins Persönliche vorwagen. "Die Methode ist unglaublich inklusiv, jeder redet mit", sagt Wienkötter. Altersrelevante Themen wie Sexualität, Gewalt, Macht, Ausgrenzung ließen sich so thematisieren. Und die Jugendlichen könnten spüren: Kunst kann auch etwas mit mir und meinem Leben zu tun haben und eine Bereicherung sein. "Für viele ist es der erste Museumsbesuch überhaupt", berichtet Wienkötter. Umso wichtiger sei es, Berührungsängste zu durchbrechen und das Gefühl des Elfenbeinturms erst gar nicht entstehen zu lassen.

Auch Andreas Zimmermann ist sichtlich begeistert von der neuen Methode: "Es geht nicht um Wissenstransfer, sondern um ein Erlebnis, ein Gefühl, eine eigene Einschätzung und somit einen tiefer gehenden Zugang zu Kunst."

Emotionale Berührung

Dem stimmen auch die Lehrer aus der Kenyongasse zu. "Die alte Frau links oben ist mir vorher gar nicht aufgefallen", bemerkt ein Teilnehmer. Anhand ihrer Modelle spekulieren die Lehrer: "War sie die Amme von Delilah oder gar ihre Mutter?""Ihr Blick wirkt nicht ganz unwissend, hat sie die Feinde ins Haus gelassen?" Eine rege Diskussion über moralischen Zwiespalt und ambivalente Gefühle beginnt. Rolf Wienkötter kann so ganz am Rande einfließen lassen, was er über das Bild weiß. Im Gegensatz zur Rubens'schen Darstellung der Szene seien hier eindeutig mehr Zwischentöne erkennbar. Van Dycks Delilah bereue den Verrat vielleicht sogar ein bisschen. Doch nicht jedes Kunstwerk eigne sich gleich gut, um in Kombination mit Lego Serious Play eine solche Fülle an Fragen aufzumachen, erklärt der Kulturvermittler. So habe man im gesamten KHM bisher nur fünf Werke, darunter auch ein Amazonen-Sarkophag aus der Antikensammlung, für derartige Führungen erschlossen.

Was die Lehrer des Workshops zum Schluss noch bewegt, ist die Frage nach dem "Risiko". "Was, wenn der durchaus psychologisch angehauchte Ansatz schwierige Themen, ja gar Traumatisches bei den Jugendlichen hervorbringt?", will eine Teilnehmerin wissen. Die Frage ist durchaus berechtigt, werden doch ausgehend vom Kunstwerk auch Albträume und andere belastende Dinge aus Lego gebaut. Wienkötter plädiert dennoch für Entspannung. "Natürlich wollen wir emotionale Berührung erreichen, gleichzeitig sind wir keine Psychologen. Dieser Aspekt hat uns also auch in der Vorbereitung beschäftigt." Die Praxis habe jedoch gezeigt, dass das Reden über das Modell immer schon zu Distanzierung führe. "In unseren knapp 300 Workshops ist nie etwas passiert", beschließt er lachend die Veranstaltung.

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