Lieber ein Künstler als ein Depp

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Der "gehinderte" Tiroler Dichter und Maler Georg Paulmichl hat eine treue Fangemeinde.

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Der "gehinderte" Tiroler Dichter und Maler Georg Paulmichl hat eine treue Fangemeinde.

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Noch immer schaut er aus wie ein verschmitzter Bauernbub, der Georg Paulmichl aus Prad im Vinschgau, wo er 1960 "ins Leben gestemmt" worden ist. Noch immer trägt er sein scheinbar argloses Kindergesicht vor sich her, diktiert seinem Betreuer, Dietmar Raffeiner, in der Prader Behindertenwerkstätte in nicht versiegendem Wortschwall seine berührenden, vernunftabgewandten und ach so hintersinnigen Texte. Dazu malt er lapidare, schwerblütige Bilder aus einem Guß. Seit Beginn seiner dichterischen Tätigkeit in den achtziger Jahren hat er kein bißchen von seiner eigensinnigen Kreativität verloren, der geistig behinderte Paulmichl, den sein Betreuer geistig "gehindert" nennt, wenn er auch vor einiger Zeit einen Schlaganfall erlitten hat und sein Kopf mittlerweile einen gewissen "Kahlschlag" aufweist, weil die "Haare das Sprießtum auf der Schädeldecke nicht mehr so recht packen wollen".

Daß Paulmichls literarische Arbeiten so witzig, so doppelsinnig und skurril sind wie eh und je, konnte das Innsbrucker Publikum in der HTL-Galerie mit Genuß registrieren, als Künstler und Betreuer Kostproben aus Briefen und Ausschnitte aus dem Buch "Verkürzte Landschaft" (kürzlich im Haymon Verlag zum fünften Mal aufgelegt) zum besten gaben.

Da mixt der Südtiroler das scheinbar Unkombinierbare ganz unschuldig zu sprachlichen Unglaublichkeiten, ohne von den Gesetzen der mit der Sprache jonglierenden modernen Literatur irgendeine Ahnung zu haben. Er kann es einfach - und "verdichtet" seinen Alltag zu einem Sprachgeflecht von schnurgeradester Kompliziertheit. Platitüden, Sprichwörtern, vorgefertigten Sprachhülsen aus Politik, Religion, Werbung, Television, Wirtschaft entlockt er ungeahnte sprachakrobatische Neuschöpfungen.

Pfiffig schmunzelnd und mit wachem Blick schildert er Ereignisse und Tatsachen, die wir nur allzu gut kennen; zum Beispiel Aussprüche, passend zur Vorweihnachtszeit: " Der eiskalte Wintermann hat uns die Kälte verwiesen; da wird das Kauwerk mit Kekssorten gefüllt; die Deutschen kriegen den Alkolhol nicht aus den Gemütern; die Betmühlen üben die Verstimmung ein; ein Fernsehabend erlöst den anderen; der Nebel verkürzt die Landschaft; eine alte Frau wurde vom Leben abgeworfen. Am besten, man bleibt im Haus und läßt das Wetter vor der Türe stehen."

Paulmichls Texte ermöglichen eine verblüffende Einsicht in die Alltagswirklichkeiten, die in Prad ebenso gültig sind wie draußen in der weiten Welt. Das hat dem Künstler im deutschen Sprachraum eine eingeschworene Fangemeinde gesichert. Seine Bücher bei Haymon sind eindeutige Bestseller, seine Fernsehauftritte, Lesungen, Rezensionen haben Schauspieler zu szenischen Darbietungen Paulmichlscher Texte angeregt. 1993 hat er den Literatur-Förderungspreis der Basler Goethe-Stiftung erhalten. "In der Werkstatt bin ich ein Dichter", weiß Georg Paulmichl. "Ich bin nicht behindert, ich kann reden. Ich gehöre eindeutig zur Künstlerrasse - und ein Künstler sein ist feiner als ein Depp."

Aber: "In Prad grüßt mich niemand ... Am besten ist wegschauen und die Einfalt üben ..."

Georg Paulmichl - Bilder und Texte. Bis 11. Februar 2000, HTL-Galerie, Anichstr. 26-28, 6020 Innsbruck.

Bücher von Georg Paulmichl (beide: Haymon Verlag, Innsbruck) Verkürzte Landschaft . 1999, 5. Auflage, broschiert 96 Seiten, 12 farbige Bilder, mit sprachwissenschaftlichem Nachwort. öS 218,-/e 15,84,Ins Leben gestemmt. 96 Seiten, broschiert, 10 Farbbilder, öS 230,-/e 16,72,-

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