Linsen versus Eiernockerl

19451960198020002020

Ibrahim Amir hat im Auftrag des Wiener Volkstheaters ein Stück geschrieben, changierend zwischen Satire, Tragödie und Romanze. Die Uraufführung von "Rojava" zeigt sich ähnlich unentschieden.

19451960198020002020

Ibrahim Amir hat im Auftrag des Wiener Volkstheaters ein Stück geschrieben, changierend zwischen Satire, Tragödie und Romanze. Die Uraufführung von "Rojava" zeigt sich ähnlich unentschieden.

Werbung
Werbung
Werbung

"Dass Du nicht tanzen kannst, das ist Hochverrat!", wirft die junge kurdische Kämpferin Hévin dem jungen Michael vor. Trotz oder gerade wegen des andauernden Krieges wird in Rojava musiziert, getanzt und gesungen. Im Angesicht des Todes heißt es, jedem Augenblick sein besonderes Vergnügen abzugewinnen.

Der syrische Autor Ibrahim Amir hat im Auftrag des Wiener Volkstheaters ein Drama im Sinne von "Liebe in Zeiten des Krieges" geschrieben. Der Text changiert zwischen Satire, Tragödie und Romanze. Unentschieden zeigt sich auch die Uraufführung, die in der Regie des Komponisten Sandy Lopičić vor allem von der Musik getragen wird. Ibrahim Amir erzählt vom Wiener Studenten Michael und der Kurdin Hévin, die gemeinsam für die Unabhängigkeit Rojavas kämpfen. In der hauptsächlich von Kurden bewohnten Region entlang der türkischen Grenze in Nordsyrien herrscht ein jahrelanger Abwehrkampf. Besonders an diesem politischen System ist, dass hier ethnische, religiöse und kulturelle Unterschiede als gleichwertig anerkannt werden. Damit gilt Rojava als ein außergewöhnlicher Modellversuch für eine basisdemokratische Regierung.

Die Revolution romantisierend, zieht Michael - von Peter Fasching als Softie gespielt - in den Krieg gegen den IS. In erster Linie aber möchte er seiner Freundin Derya (Golnar Shahyar) seine Männlichkeit beweisen. Seiner Mutter Ursula (Claudia Sabitzer) schickt er Videobotschaften von der Front -Einblendungen von Comic-Bildern aus dem Buch "Kobane Calling" des italienischen Zeichners Zerocalcare.

Ursula ist alleinerziehende Bobo-Josefstädterin, in Schlabberhosen und Strickjacke sitzt sie an der Bühnenrampe und lässt sich ihr Leben nicht "wegpolitisieren". Was hat sie falsch gemacht in ihrer Laissez-faire-Erziehung, fragt sie sich. Doch jeglicher Versuch, den Buben zur Rückkehr zu überreden, scheitert. "Kannst du nicht woanders die Welt retten? Bekämpfe doch den Kapitalismus an der Quelle, an der Wallstreet", ruft sie dem Sozialromantiker zu. Er aber schwärmt von den Gärten der Solidarität und kocht in der Volksküche Eiernockerl nach Ursulas Rezept. Das Essen und vor allem das ständige Sprechen darüber zieht sich durch Amirs Stück, der ganz offensichtlich auch die Alltagsprobleme auf groteske Art thematisiert. Linsen versus Eiernockerl, das ist die Basis. Die rasanten Zeit-und Ortswechsel werden von Lopičić mit Gefechtslärm und Musik künstlerisch überhöht. In enormem Tempo überstürzen sich die Ereignisse, die Drehbühne tut das ihre.

Sentimentale Entsagungen

In Rojava wartet Michael vergeblich auf seinen Mittelsmann, der wurde schon vor zwei Tagen beim Zigarettenholen getötet. Tod und Beschädigung gehören zum Alltag, scheint es, denn statt des Mittelsmannes begegnet er dem blinden Kaua (Sebastian Pass) und dessen Cousin Alan (Luka Vlatković), den es in den Westen zieht, weit weg vom Kampf, nach Japan. Wien eignet sich als Weg dahin und so bittet er Michael um seinen Pass und macht sich auf den Weg. Während Alan in Wien (ganz zufällig?) Derya kennenlernt, begegnet Michael der Kämpferin Hévin. Die Frauen haben sich in Rojava zusammengeschlossen. Hévin -selbst schwer traumatisiert - kämpft in einer feministischen Organisation für ein unabhängiges Land.

Während im ersten Teil im Hochgeschwindigkeitstempo gespielt, gesungen und getanzt wird, fokussiert der zweite Teil die Romanze. Der Autor kippt dabei ins Sentimentale und konstruiert eine bedenkliche Liebestragödie: Denn Michael und Hévin müssen der Liebe entsagen, nur wer den unerfüllten "süßen Schmerz der Liebe in sich trägt, kann auch ein guter Freiheitskämpfer sein", heißt es da. Die angekündigte "seelische Transformation" gelingt weder Michael noch Alan, denn der Krieg kann nur eines: zerstören. Trotz der großartigen musikalischen Performance von Golnar Shahyar und ihrer Band, trotz einer spannenden Ausgangsbasis verpufft der Abend an den vielen künstlerischen Ideen.

Rojava Volkstheater, 14., 17., 19., 23. März 2019

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung