Märchen vom fliegenden Hausdach

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In dem märchenhaften Film "Luna Papa" gerät die grausame Wirklichkeit Zentralasiens auf skurrile Weise aus dem Lot.

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In dem märchenhaften Film "Luna Papa" gerät die grausame Wirklichkeit Zentralasiens auf skurrile Weise aus dem Lot.

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Fliegende Hufe donnern über die wilde Steppe Usbekistans, schräg liegt die Weite des Horizonts im Bild: die Perspektivwechsel und das Tempo von "Luna Papa" kippen genauso aus dem Lot, wie die Wirklichkeit Zentralasiens, das Schicksal der Heldin Mamlakat (Chulpan Khamatova) oder die Wertordnung der engstirnigen Dorfbewohner. Regisseur Khudojnazarov erzählt in magischen Bildern ein von skurriler Komik durchtränktes Märchen: die archaischste Form, eine Wahrheit zu vermitteln, die über das Sichtbare hinausreicht. Die wirkliche Hauptfigur dieses Films ist folgerichtig unsichtbar: die Stimme Chabibullahs, eines ungeborenen Kindes, das die sich überstürzenden Ereignisse seit seiner Zeugung erzählt.

Mit "Luna Papa" ist in einer internationalen Co-Produktion (Österreich, Deutschland, GUS, Schweiz, Frankreich) ein einzigartiges Meisterwerk geglückt. Rasch aufeinanderfolgende Szenen voll umherstreifender Soldatentrupps, brutaler Patriarchen, köstlicher Dialoge, skurriler Einfälle, vom Himmel fallender Kühe oder eines dramaturgisch zum richtigen Zeitpunkt erschossenen Gynäkologen tragen die Tragik schon im schwarzen Humor. Hinter der pittoresken Kargheit der Landschaft, den orientalischen Trachten der Menschen in einem Dorf bei Sarmakand verbirgt sich die verbohrte Grausamkeit einer patriarchalischen Gesellschaft, in der Schwangere ohne Mann sofort als Huren geächtet werden.

In dieser Welt lebt die 17 jährige Mamlakat, unaufgeklärt, unschuldig, von einer großen Leidenschaft besessen: dem Traum der Schauspielerei. Als tapfere, liebevolle Aufpasserin auf ihren durch eine Kriegsverletzung geistig behinderten Bruder Nasreddin (Moritz Bleibtreu), zieht sie mit ihrem verwitweten Vater Safar (Ato Mukhamedshanov) durch die Lande. Nasreddin kämpft gegen das Böse, er glaubt, ein Flugzeug zu sein. Dann breitet er die Arme aus, an denen leere und halbvolle Plastikflaschen aus dem Westen hängen und stellt in wildem Fluglauf das gesamte Dorf auf den Kopf. Mamlakat jagt hinterdrein, um Katastrophen zu verhindern, bis sie selbst zum Opfer eines alltäglichen Dramas wird, um dessen Konsequenzen sie nicht weiß.

Von der jugendlichen Begeisterung seiner Tochter milde gestimmt, kauft ihr der strenge Papa ein wunderschönes weißes Kleid. Freudig dreht sich Mamlakat im Tanz, der Vater erlaubt ihr, per Anhalter auf dem Schiff der Händler zu einer Theateraufführung zu fahren. Sie kommt zu spät, stolpert, einen Klassiker deklamierend, durchs Dickicht der Mondnacht. Eine schmeichelnde Stimme, folgt ihr. Sie behauptet, ein Freund von "Tok" zu sein. Tom Cruise ist gemeint, Mamlakat lauscht ergriffen. Der Rest sind tastende Männerhände, ein langer, tiefer Fall den Abhang hinab. Er endet mit dem einsamen Erwachen am Strand, das weiße Kleid ist blutbefleckt und zerrissen. Mamlakat schwankt zwischen Verklärung und Verzweiflung, ihre Freundin Sube ist entschlossen und aufgeklärt genug, um sie zur Abtreibung in die Stadt zu bringen. Scharmützel im Land bescheren dem Frauenarzt eine tödliche Kugel, dem Kind seine Rettung. Aus dem Off bittet es den Doktor um Verzeihung, die turbulente Handlung läuft weiter, eine Hochschaubahnfahrt zwischen beinahe greifbarem Glück mit der zufällig gefundenen großen, wahren Liebe Alek (Merab Ninidze) und drauffolgender Tragik. Da hilft nur noch ein Wunder: das Dach eines Hauses wird zum Flugzeug, entschwebt in den Himmel, weg von der bösen Wirklichkeit, hin zum Märchen, zum Traum, zur tieferen Wahrheit, um zur Geburtsstätte des kleinen Chabibullah zu werden. "Happy birthday", wunderbarer Filmheld!

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