Mehrsprachigkeit - auch religiös?

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Ich sitze im Zug. Wir fahren von Zürich nach Basel. Eine junge Frau telefoniert in breitestem Basler Dialekt, anscheinend mit ihrer Mutter. Sie sagt "Mami“, erzählt eifrig von einem Ausflug. Und plötzlich verstehe ich nichts mehr, kein Wort. Welche Sprache ist das? Albanisch, Kurdisch, Georgisch? Bevor ich Zeit finde, Wörter zu identifizieren, ist schon wieder Baselditsch dran.

Ich beneide mehrsprachige Menschen, bewundere die Leichtigkeit, mit der sie von einem Idiom ins andere und damit, so stelle ich mir vor, von einem kulturellen Kontext in den anderen gleiten.

Mehrsprachigkeiten werden in der sich globalisierenden Welt immer mehr zur Regel. Religiöse, kulturelle oder Gender-Mehrsprachigkeit lerne ich, oft ohne es zu merken: Bevor ich ein mir fremdes Gotteshaus betrete, erkundige ich mich, ob dort eine Kopfbedeckung erwartet wird. Und manchmal spiele ich ein bisschen "Mann“, weil mit "weiblicher Bescheidenheit“ bestimmte Ziele einfach nicht zu erreichen sind. Aus kulturellen Sesshaftigkeiten auszubrechen, kann Spaß machen. Manchmal aber bringt es derart durcheinander, dass Angst und Neid sich zu Fremdenfeindlichkeit steigern. Sollten wir dann, statt einander Unbeweglichkeit vorzuwerfen, eine offene Debatte darüber führen, ob die verschiedenen Sesshaftigkeiten und Mobilitäten einander nicht bereichern könnten? Wie schon in der Bibel?

Die junge Frau hat ihr Telefongespräch beendet. Sie lächelt mir zu, und ich sage ihr, wie sehr ich ihre Mehrsprachigkeit bewundere. Da staunt sie, denn sie hat gar nicht bemerkt, dass sie mit ihrer Mutter in zwei Sprachen geredet hat. Kann Mehrsprachigkeit in Selbstverständlichkeit übergehen? Auch religiöse Mehrsprachigkeit? Kann das Zusammenleben von Mobilen und Sesshaften zu einem zwanglos-freundlichen Austausch werden?

* Der Autor ist Schriftstellerin und evang. Theologin in der Schweiz

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