Mit Behutsamkeit und Liebe

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Zirkusartisten, rivalisierende Straßenbanden, der Alltag eines alten Ehepaares: Bruce Davidson interessierte sich immer für randständige Gruppen. Dem US-Fotografen mit dem Engagement für Außenseiter widmet das Wiener WestLicht derzeit eine Ausstellung.

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Zirkusartisten, rivalisierende Straßenbanden, der Alltag eines alten Ehepaares: Bruce Davidson interessierte sich immer für randständige Gruppen. Dem US-Fotografen mit dem Engagement für Außenseiter widmet das Wiener WestLicht derzeit eine Ausstellung.

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Das Ehepaar Watts in Arizona, nahe der mexikanischen Grenze. Sie ist 79 Jahre alt, er 94. Er fährt noch Auto, einen Oldtimer, einen Ford Model T. Manchmal steigt sie mit ins Auto, was jedes Mal eine Unternehmung der beschwerlicheren Art ist, wie auf jenem Foto unschwer zu erkennen ist, das Bruce Davidson gemacht hat. Der US-Fotograf war damals knapp über 20, leistete gerade seinen Militärdienst ab und lernte an einem seiner freien Wochenenden dieses ältere Farmerpaar kennen. Es lud ihn zu sich ein, der Beginn einer Freundschaft.

In der folgenden Zeit sollte Davidson immer wieder das Ehepaar besuchen und dessen normalen Alltag mit der Kamera festhalten. Essen, schlafen, Gartenarbeit. Ein ganz und gar unspektakuläres Thema. Umso mehr überzeugen die Arbeiten durch den so behutsamen wie liebevollen Zugang. Diese Serie aus dem Jahr 1955 bildet den Auftakt einer retrospektiven Ausstellung, die das Wiener WestLicht gerade Bruce Davidson widmet.

Wer über mehrere Wochen an einem Thema dran bleibt, dem geht es nicht um das schnell verdiente Geld. Der arbeitet anders als ein Zeitungsfotograf, der dringend ein Bild liefern muss. Der möchte vielmehr in die Tiefe gehen, sein Sujet genau erkunden.

Nächste Nähe

Diese Haltung, dieses Arbeitsethos ist das eine Charakteristikum von Bruce Davidson. Das andere sein besonderes Interesse für randständige Gruppen. So machte das Mitglied der legendären Fotoagentur Magnum (die heuer ihr 70-jähriges Bestehen feiert) etwa auch Fotoserien von rivalisierenden Straßenbanden, aufbegehrenden Afroamerikanern und Zirkusartisten. Die Ausstellungsmacher haben hierfür das Etikett "humanistische Fotografie". Kennzeichnend für Davidson ist weniger ein bestimmter Stil als vielmehr sein Engagement für die Außenseiter.

Wer seine Sujets aus der Ferne einfängt, vielleicht mit einem Teleobjektiv, hält auch den Betrachter seltsam auf Distanz. Und gerade dies ist bei Davidson nicht der Fall. Er hat seine Protagonisten immer aus nächster Nähe fotografiert. Sie blicken oft direkt in die Kamera, mit dem Ausdruck größter Selbstverständlichkeit. Solche Aufnahmen sind nur möglich, wenn vorher ein großes Vertrauensverhältnis aufgebaut wurde.

Ein Fotograf muss sich in der Technik auskennen, muss wissen, welche Belichtungszeit und welche Blende in der jeweiligen Situation angemessen sind. Daneben muss er ein Auge für Komposition haben, muss in Sekundenbruchteilen die Kamera so in Stellung bringen, dass er den entscheidenden Moment nicht verpasst. Und schließlich muss er, gerade in der Porträtfotografie, ein Gespür für Menschen haben, den richtigen Draht zu ihnen finden, damit sie sich vor der Kamera ganz natürlich geben. Gerade dieser letzte Aspekt wird gerne übersehen, dabei dürfte soziale Kompetenz überhaupt die wichtigste Eigenschaft eines guten "Menschen-Fotografen" sein.

Nüchterne Bildsprache

Nüchtern und unaufgeregt ist die Bildsprache von Davidson. Da sucht nicht einer mit gekippter Kamera nach dem extravaganten Ausschnitt.

In einer Serie zeigt der US-Fotograf jüdische Auswanderer in einem New Yorker Café. Alle mit direktem Blitz aufgenommen. Das Gesicht erscheint hell, der Hintergrund verschwimmt im Dunkel. Ein harter, ein unschöner Kontrast, der, wie man in jedem Fotolehrbuch nachlesen kann, tunlichst zu vermeiden ist. Nun ist es ein Vorrecht des Künstlers, sich über jegliche Regeln hinwegsetzen zu können. Das wiederum ist allerdings, wie dieses Beispiel zeigt, noch lange keine Garantie für unkonventionelle Meisterwerke. Zu einem Gesamtwerk gehören eben auch schwächere Teile. Leider sind die herrlichen Farbaufnahmen aus Davidsons Serie "Subway"(1986) nicht ausgestellt -die Schau beschränkt sich ausschließlich auf die Schwarz-Weiß-Werke.

84 Jahre ist Bruce Davidson heute. Und immer noch aktiv. Von den sozialen Brennpunkten hat er sich aber mittlerweile verabschiedet. Nun interessiert ihn insbesondere der Übergang von Stadt zu Land, von Kultur zu Natur. Da ist weniger soziale Kompetenz gefragt - aber Feingefühl, eine unabdingbare Voraussetzung jedes guten Fotografen.

Bruce Davidson

bis 13. August 2017, WestLicht

Westbahnstraße 40

1070 Wien

www.westlicht.com

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