"Moralisieren hilft eben nicht“

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Der Wiener Psychiater Otto Presslich war einer der Pioniere der Drogenersatztherapie in Österreich - und hat mit seinem Engagement für suchtkranke und HIV-infizierte Menschen viel Widerspruch erfahren. Über die schwierige Mission eines Unangepassten.

"Das ist eine Grausamkeit gegenüber kranken Menschen“, sagt Otto Presslich. Einen Tag nach seinem 76. Geburtstag sitzt er im karg möblierten Wohnzimmer seines Hauses in Neustift am Walde - und kann die jüngste Wortmeldung von Johanna Mikl-Leitner nicht fassen. "Weg von der Substitutionsbehandlung hin zu einer früher greifenden Therapie“ solle man in der Drogenpolitik künftig gehen, forderte die ÖVP-Innenministerin. Zwar relativierte sie später, dass es ihr nicht um eine völlige Abkehr von der Drogenersatztherapie, sondern nur um eine bessere Verschreibungs- und Verabreichungsform gehe, doch die Aufregung blieb.

Auch bei Otto Presslich. Schließlich gilt der Psychiater und Neurologe als österreichischer Pionier der Substitutionstherapie. Menschen, die von Heroin, Opium oder Morphium abhängig sind, erhalten dabei von spezialisierten Ärzten Ersatzsubstanzen verschrieben: neben Methadon und Burprenorphin vor allem retardiertes Morphin ("Substitol“). Rund 17.000 Patienten werden derzeit österreichweit substituiert und haben dadurch die Chance, trotz ihrer Sucht sozial integriert leben zu können: ohne Angst vor HIV- oder Hepatitis-Infektionen durch verunreinigte Spritzen; und ohne Zwang zur Beschaffungskriminalität.

Eiserne Nerven für schwierige Patienten

Was früher als ulima ratio betrachtet wurde, bezeichnet die Weltgesundheitsorganisation WHO längst als "effektivste Behandlungsform bei Opiatabhängigkeit“. Das Ziel einer Entwöhnung ist schließlich für viele Suchtkranke einfach nicht zu schaffen. Otto Presslich hat das unzählige Male erlebt. "Diese Patienten sind extrem schwierig, da muss man eiserne Nerven haben“, sagt er. Wäre ihm als Arzt gesellschaftliche Anerkennung oder eine umgängliche Klientel wichtig gewesen, hätte er etwas anderes gewählt. Doch seine soziale Ader und ein gewisser "Hang zum Unangepassten“ haben ihn zu den Junkies getrieben, jenen psychiatrisch Schwerkranken, die man lange "wie den letzten Dreck“ behandelt hat.

Die Abgründe der Psyche haben ihn selbst schon früh interessiert. Am 21. Februar 1937 als Sohn eines Allgemeinmediziners und einer oftmals reisenden, berufstätigen Mutter geboren, liest er als Schüler begeistert Sigmund Freud und C.G. Jung. Später studiert er Medizin in Wien, arbeitet daneben als Tankwart und bei einem Altwarenhändler, macht seinen Facharzt in Psychiatrie und Neurologie und wird an der Psychiatrischen Uniklinik für Elektroenzephalogramme zuständig. 1978, "von einem Tag auf den anderen“, übernimmt er schließlich die Leitung der Drogenambulanz sowie der Intensivstation auf der Psychiatrischen Klinik in Wien.

In dieser Zeit steigt die Zahl der Drogenkranken rasant. Presslich entwickelt die Methode eines Entzugs unter Narkose - und realisiert zugleich, dass sich immer weniger Suchtkranke in die Ambulanz wagen: Weil sie im Spital gemeldet werden müssen, steht oft sechs Wochen später ein Polizist vor ihrer Tür. Als ehrenamtlicher Konsiliararzt des Wiener Projekts "Streetwork“ will er ihnen mit einer Non-Profit-Ordination in einem besetzten Haus in der Gassergasse ein niederschwelligeres Angebot bieten. Doch im Juni 1983, bei der gewaltsamen Räumung des Hauses, werden die Räume völlig zerstört. Man übersiedelt also in die Rochusgasse, wo der Psychiater einmal wöchentlich Drogenkranke behandelt und ihnen gemeinsam mit Sozialarbeitern und Freizeitpädagogen neue Perspektiven eröffnet. Manchmal trifft Presslich seine Patienten auch in Beiseln - oder sie besuchen ihn Zuhause: Seine drei Kinder hätten angesichts "dieser unmöglichen Leute“ das Interesse an Drogen bald verloren.

Es sind Patienten, die oft schon zwei oder drei Langzeittherapien beim "Grünen Kreis“ in der Buckligen Welt durchlaufen haben, aber jedes Mal wieder bei ihren alten Bekannten in der Wiener Drogenszene gelandet sind. "Man hat ihnen kein lebensverträgliches Management anbieten können“, erzählt der Mediziner. "Man hat nur moralisiert, aber das hilft eben nicht.“ Presslich will "diesen ewigen, frommen Wünschen“ ein alternatives Konzept entgegensetzen: die Substitutionstherapie, die in den USA schon seit den 1960er Jahren erfolgreich zum Einsatz kommt. Gemeinsam mit dem Arzt Alexander David, bis heute Wiener Drogenbeauftragter, behandelt er 1985 erstmals Patienten mit Methadon.

"Nicht vermittelbare“ Therapie

Die Aufregung ist groß: Kollegen stoßen sich an "diesen Patienten“, die mit Ratte ins Spital spazieren. Andere wie die SPÖ klopfen ihm auf die Schulter, unterstützen ihn aber nicht öffentlich, "weil man das den Leuten nicht vermitteln“ könne. "Das dümmste Argument war immer: Der Staat kann doch nicht als Dealer auftreten“, ärgert sich der Arzt, der 1985 auch die AIDS Hilfe Wien mitbegründet hat. "Der Staat nimmt aber weder am Schwarzmarkt teil noch schafft er künstliche Engpässe, sondern er kontrolliert die betreuten Personen.“ Erst 1987, aufgeschreckt durch immer mehr HIV-Fälle, lässt man mit dem "Methadon Erlass“ die Substitutionstherapie endlich zu.

Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2000 arbeitet Otto Presslich daran, diese Behandlungsform auch im ambulanten Bereich zu etablieren - und Suchtkranken die Chance auf ein Leben abseits der Illegalität zu geben. "Wenn man die heutige Situation in Wien mit jener früher vergleicht, dann ist viel geschehen“, freut sich der 76-Jährige in seinem Wohnzimmer. Dass die Innenministerin das jetzt offenbar wieder etwas zurückdrehen möchte, sei "eine gewisse Challenge“ für ihn. Doch darin hat er gottseidank schon Übung.

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