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Wir leben in einer Kultur des Laissez faire - und haben doch eine rätselhafte Sehnsucht nach dem Sanctus der Obrigkeit. Nur so ist zu erklären, dass die große Rechtschreibreform nach zehn Jahren des Hin und Her in ihrem ursprünglichen Umfang gescheitert ist und dabei doch die ganze Zeit die Gemüter erhitzt hat: Zeitungen (wie die Frankfurter Allgemeine) verweigerten die Gefolgschaft, andere (wie Die Presse) wechselten von der Avantgarde der Opposition zu radikalem Mitläufertum, deutsche Bundesländer rebellierten, fortschrittlich gesinnte Autorinnen wie Elfriede Jelinek und Marlene Streeruwitz bekannten sich in flammenden Appellen zum Konservativismus in der Schrift.

Wer über die Jahre alles beim alten gelassen hat, der ist heute in etlichen Fällen rehabilitiert; jetzt heißt es wieder eislaufen statt Eis laufen, aber nach wie vor Rad fahren - die Reform wollte eigentlich der Logik zu ihrem Recht verhelfen. Auch beim eigentümlich ideologischen Feldzug gegen die Fremdwörter ertönt "Kommando zurück". In einem Land, in dem die Referate der Finanzämter in Teams umgetauft wurden, sollten die Schüler Ketschup und Grislibär schreiben.

Cui bono also? Die Schulkinder, denen zuliebe man angeblich reformierte, sind die Leidtragenden. Aber es waren zehn fette Jahre für die großen Wörterbuchverlage. Und dass die jetzt verschiedene Varianten propagieren, bringt ihnen weiter Gewinn. Die von Österreich in Nibelungentreue unterstützte Reform als Versuch am lebenden Volkskörper war ein Schildbürgerstreich. Jetzt herrscht fröhliche Anarchie, und man kann nur hoffen, dass beamtete und auf eigene Faust formulierende Schreiber die neue Freiheit nutzen. Und sich "bis auf weiteres" das "Potential" der "Orthographie" auch für sich "gewinnbringend" "zu eigen machen". Ja, liebe Redaktion, das ist wieder ganz legal!

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.

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