Reise in die eigenen Abgründe

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Ein Untersuchungsrichter findet einen Verdächtigen und erkennt eigene verbotene Wünsche.

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Ein Untersuchungsrichter findet einen Verdächtigen und erkennt eigene verbotene Wünsche.

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Eine Reise durch Afrika war der Jugendtraum des Schweizer Untersuchungsrichters Berger. Als sich der Traum endlich erfüllt, reist er aber nicht nur mit freudigen Urlaubsgedanken nach Zimbabwe. Er ist auf der Spur eines Verbrechers. Franco Supino erzählt nicht nur eine Kriminalgeschichte. Psychologisch durchdacht deckt er Schritt für Schritt die eigentlichen Motive des Untersuchungsrichters auf, der seinen Urlaub nützt, um einen Flüchtigen aufzuspüren. Die Herausforderungen, auf die Berger dann trifft, sind aber ganz anderer Art als er sich vorstellte.

Der Autor zeichnet einen Menschen, der ohne Vorurteile in die Dritte Welt reist und die Menschen und ihr hartes Leben beobachtet. In Rückblenden wird erzählt, wie der biedere Familienvater mittleren Alters nach Zimbabwe kam und warum er den Ort Binga sucht. Supino schreibt mit gekonnter Leichtigkeit und baut die Spannung raffiniert auf.

Die rauhe Realität des fremden Landes läßt seine Hauptfigur völlig neue Ängste entdecken. Durch seine Einsamkeit ist Berger gefordert, sich all den Sehnsüchten, die in der behaglichen Heimatstadt verdrängt wurden, zu stellen. Seine Träume werden intensiver, wenngleich er nie in Gefahr gerät, die Kontrolle über sich zu verlieren. Seine Beziehung zu der erwachsen werdenden Tochter wird ihm erst durch die räumliche Distanz von ihr klar. Dies ist das Thema, über das Franco Supino eigentlich schreibt. Obwohl er in detailreichen Bildern ein intensives Afrikaerlebnis beschreibt, das nicht so sehr von der beeindruckenden Landschaft wie von der Lebensweise der Einwohner lebt, ist das Land nur der Hintergrund, die Basis, auf der er Berger zu sich selbst finden läßt. Er muß sich der ambivalenten Beziehung zu seiner Tochter stellen.

Der Konflikt findet in Bergers Bewußtsein statt und der Autor führt uns den inneren Kampf eindringlich vor Augen. Routiniert zeichnet er einen Gewissenskonflikt, der an Max Frisch erinnert. Die Kriminalgeschichte erweist sich als nebensächlich. Die Spannung konzentriert sich immer mehr auf die Hauptfigur und deren Entwicklung, deren inneren Kampf. Gefühle für die Tochter werden geweckt, die ihn in gleichem Maße erregen und abstoßen. Der Roman erreicht den Höhepunkt, sobald Berger den wegen Verführung einer Minderjährigen gesuchten Hartmeier ausfindig macht. In klarer und einfacher Sprache wird ein gewöhnlicher Mensch vorgeführt, offenbar oberflächlich, tatsächlich jedoch ein Außenseiter. Hier ist eine Analogie zu dem Buch erkennbar, das simpel gestrickt erscheint, bei genauerem Hinsehen aber schwerwiegende Fragen stellt, aber freilich auch offen läßt.

Der Gesang der Blinden. Roman von Franco Supino. Verlag Nagel und Kimche, Zürich 1999. 174 Seiten, geb., öS 244,80 /e 17,79

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