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Die im Titel gestellte Alternative beherrschte nach 1968 den sprachsoziologischen Diskurs. Nach Meinung der einen Richtung sollte der politische, marxistisch bestimmte Terminus Klasse von einem Problemfeld ferngehalten werden, das sich scheinbar mit sprachlichen Förderprogrammen behandeln und sanieren ließ. Die Unterschicht, so lautete die Botschaft, könne für den sozialen Aufstieg gerüstet werden, wenn bereits Schüler im Wege von Grammatik und Vokabular den Code der Mittelschicht erwerben.

Die Gegenseite leugnete eine solche Patentlösung: Sprache zähle ja nach alter linker Ideologie zum Überbau, daher sei zunächst die Basis zu bereinigen, sprich: die kapitalistische Ordnung zu beseitigen. Denn wer spricht von einem Ende des Klassenkampfs? Und was soll die Anpassung an die Redeweise des gegnerischen Lagers?

Heute stellt sich die Frage im neuen Licht und unter anderem Blickwinkel. Die rezente Armut, bald offen demonstriert, dann verschämt kundgetan, ist jedenfalls unübersehbar und nicht mit schönen Worten wegzureden. Das hat auch die hohe Politik erkannt. Doch verbale Auseinandersetzung braucht ein geeignetes Vokabular. Und dieses soll beschreibend, also weder ideologisch belastet sein, noch den Sachverhalt euphemistisch verharmlosen.

Damit aber verbietet sich etwa der Ausdruck Proletariat, der nicht zu russisch prolet "Frühling", sondern zu lateinisch proles "Nachkommenschaft" gehört. Als Ausweg aus dem Dilemma bot sich zuletzt Prekariat an. Das Vokabel klingt neutral und ist kaum mit Begleitgefühlen besetzt. Geht man freilich seinem Ursprung nach, so setzt bald Ernüchterung ein. Lat. precarius (wie das Fremdwort prekär "heikel") gehört zu Bezeichnungen für Bitten und Beten. Es verweist also auf Lebenslagen, in denen nur noch Demut zum Erfolg führt. Ob das im Sinne der sprachlichen Erfinder liegt?

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