Schicksal: steriler Stereotyp

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"Ein Mann und eine Frau, die zuerst ein Kind verloren haben und dann einander. Oder nein: sich selbst." So fasst der Protagonist jene Geschichte zusammen, die die niederländische Autorin Lot Vekemans erzählt. Michael Schottenberg bringt "Gift. Eine Ehegeschichte" als vorletzte Eigeninszenierung in seiner Zeit als Volkstheater-Direktor. Vekemans' Blick auf die Ehe ist ziemlich konventionell. Ihre Vorstellungen von Mann und Frau verfestigen die Idee, dass die Geschlechter einander einfach nicht verstehen können. Die Story im Stück ist simpel gestrickt, aber umso konstruierter. Zehn Jahre oder vielleicht nur neun (die Sichtweisen der beiden Protagonisten divergieren in so gut wie allen Punkten, und diese unterschiedliche Wahrnehmung betont Vekemans übermäßig) sind die beiden getrennt, sie haben einander in dieser Zeit weder gesehen noch voneinander gehört. Nun soll das Grab ihres Sohnes Jakob verlegt werden und die beiden sind zu einem Gespräch in die Friedhofsverwaltung bestellt. So sitzen sie in einem steril-weißen Warteraum auf Plastikstühlen. Hans Kudlich hat die Bühne betont nüchtern gestaltet: rechts ein Wasserbehälter mit transparenten Bechern, neben dem Eingang ein weißes Kreuz. Befinden sich die beiden immer noch im Wartezimmer des Krankenhauses, in welchem ihr Sohn starb?

Überforderung und pathologische Trauer

Klar werden die einzelnen Szenen voneinander getrennt: akustisch durch den Auslöser einer Kamera, optisch durch kurze Blacks. Die Bildfolgen weisen in die Vergangenheit, Erinnerung und Zukunft: Vielleicht sind die beiden bereits in der Hölle: Wie in Sartres "Geschlossener Gesellschaft", wo sich die Figuren das Leben gegenseitig vergiften. Doch die beiden werden von keinem Friedhofsverwalter erlöst, denn die Begegnung ist eine "Inszenierung" der Frau, die hofft, ihrer pathologischen Trauer entrinnen zu können. Ihr Ex-Mann erweist sich jedoch als überfordert, redet nur von sich, zeigt sich als narzisstischer Verdränger, der sowohl jetzt wie auch damals vor dem Schmerz und seiner Frau geflüchtet ist. Zuerst in den Sport, dann in die Musik und schließlich in eine neue Beziehung samt Nachwuchs. Lot Vekemans präsentiert allzu simple Geschlechter-Stereotypen: Die Frau stellt sie als neidische, pathologisch Trauernde dar. "Ich hasse die glücklichen Menschen", zischelt sie, während er ihr vorwirft, dass sie sich in ihrem Leiden suhlt. Er wiederum trägt sein Schicksal nach außen, schreibt einen Roman und verlässt sie am Ende grußlos, wie damals vor zehn oder neun Jahren, egal. In Schottenbergs 75-minütiger Inszenierung klagt Andrea Eckert herzzerreißend als verwaiste Mutter an der Seite von Günter Franzmeier. Als Theaterabend überzeugt "Gift" nicht, interessant wäre ein Hörspiel-Versuch.

Gift. Eine Ehegeschichte - Volkstheater

31. Jänner, 1., 5., 10., 12., 23., 26. Februar

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