Schuldlos schuldiger Anti-Held

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Kaum ist der Applaus für die Uraufführung der Glass-Oper „Kepler“ verklungen, reiht sich schon der nächste für die hervorragende Inszenierung des Romanfragments „Der Verschollene“ von Franz Kafka an. Für seine Choreografie der komplexen Handlung, die man auch als Stationendrama bezeichnen könnte, standen Ballettdirektor Ulrich 20 brillante, auf Athletik und Technik eingeschworene Tänzer und Tänzerinnen zur Verfügung. Für sie hat Kurt Schwertsik, der längst zu den bedeutendsten und in seiner Art wahrhaftesten Komponisten unserer Zeit gehört, die Musik als Auftragsarbeit des Linzer Landestheaters geschrieben. Dennis Russell Davies, Chef des Bruckner Orchesters Linz, wusste genau, wen er sich da für die Komposition geholt hatte, kennen sich die beiden doch spätestens seit ihrer Zusammenarbeit beim RSO in Wien. Dass die Wahl auf Schwertsik fiel, erklärt sich jedoch in erster Linie aus seiner sowohl breit gefächerten wie präzisen Instrumentationskunst, die sich, bezogen auf die unterschiedlichen Szenarien und Charaktere, ohne Mühe nachvollziehen lässt. So bestechend wie vergnüglich sind bei Schwertsik auch sein Witz, seine skurrilen Einfälle, jenen Kafkas oft adäquat, wie der Umstand, dass er auch Tonalität und Harmonie in seinen Kompositionen zulässt.

Hervorragende Schauspielleistung

Der sechzehnjährige Karl Roßmann, den ein Dienstmädchen verführt und die von ihm ein Kind bekommen hat, wird von den Eltern nach Amerika abgeschoben und verbringt die Überfahrt im untersten Maschinenkeller des Schiffes, wo er sich freundschaftlich des ungerecht behandelten Heizers annimmt. Bald nach seiner Ankunft in New York scheint er dank eines reichen Onkels glänzende Aussichten zu haben, aber es dauert nicht lange, und seine traurige Geschichte, die eines Anti-Helden, beginnt. Aufgrund seiner Hilfsbereitschaft, seines Vertrauens in die Menschen, die er trifft und die sich an ihn heranmachen, seines Gefühls für Gerechtigkeit sowie des Mangels an jeglicher Lebenserfahrung fällt er auf jeden herein. Schuldlos schuldig geworden, ist der soziale Abstieg nicht aufzuhalten. Karl endet (dem Romanfragment nach) als Diener einer Prostituierten: Was für ein Leben in solch einem Milieu! Dennoch: Karl nimmt nicht Schaden an Leib und Seele, wird er doch von seiner inneren Stimme begleitet, der Martin Achrainer seinen sonoren Bariton leiht. Dieser Karl Roßmann, von Jonatan Salgado Romero so packend wie berührend getanzt und dargestellt, zählt zu den Besten der Ausnahme-Compagnie und sei stellvertretend für diese hervorgehoben. Für die symbolträchtige Bühne zeichnet Simon Corder verantwortlich. Die Dichte der Atmosphäre kam nicht zuletzt in Momenten der Homoerotik wie im prächtigen Orchesterklang zum Ausdruck.

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