Siegerfoto mit Badewanne

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Fotomodel, Fotokünstlerin, Kriegsreporterin: Die Albertina würdigt in ihrer aktuellen Ausstellung die vielschichtige Arbeit der US-amerikanischen Künstlerin Lee Miller.

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Fotomodel, Fotokünstlerin, Kriegsreporterin: Die Albertina würdigt in ihrer aktuellen Ausstellung die vielschichtige Arbeit der US-amerikanischen Künstlerin Lee Miller.

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Auf den ersten Blick scheint es sich um eine private Aufnahme zu handeln. Eine Frau sitzt in der Badewanne. Ihr Blick geht nach unten, sie wäscht sich gerade den Hals. Dass ein Fotograf zugegen ist, stört sie offensichtlich nicht. Weder posiert sie für die Kamera noch zeigt sie Anzeichen von Verlegenheit.

Was wie ein beiläufiger Schnappschuss daherkommt, ist indes sorgsam arrangiert -und ein höchst politisches Bild. Denn was wir sehen, ist kein gewöhnliches Badezimmer, auch wenn es gerade so anmutet: Es ist das Badezimmer von Adolf Hitler, in dessen Münchner Wohnung, Prinzregentenplatz 16. In der Badewanne sitzt Lee Miller, eine amerikanische Kriegsreporterin, hier in der Rolle eines Modells. Vor der Badewanne hat sie ihre Militärstiefel abgestellt.

Akt der Demütigung

Es ist das Jahr 1945, gerade hatte Hitler Selbstmord begangen und Miller erhielt zusammen mit ihrem Fotokollegen David E. Schermann Zutritt zu seinen Privaträumen. Im Badezimmer, dem gewiss intimsten Bereich, schufen die beiden Fotografen ihr spezielles "Siegerfoto", genauer: ihre "Siegerfotos", denn sie wechselten sich ab, mal saß Miller in der Badewanne, dann Schermann, und der andere drückte jeweils auf den Auslöser. Diese Bildfolge ist böse und verspielt zugleich: Der Diktator ist besiegt, schaut, wir erlauben uns den Spaß und benutzen sein Bad - ein Akt der Demütigung.

Zu sehen sind die Badezimmer-Fotos derzeit in der Albertina, die der amerikanischen Fotografin Lee Miller (1907-1977) eine Ausstellung widmet. Der Ausstellungstitel ist betont schlicht gehalten, nur "Lee Miller", vielleicht deswegen, weil das so vielschichtige Werk der Künstlerin nur schwer auf einen Nenner zu bringen ist.

Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Miller als Kriegsreporterin in Europa für die Zeitschrift Vogue. Unter anderem erlebte sie die Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald durch die US-Truppen. Die ausgemergelten Sträflinge in ihrer gestreiften Anstaltskleidung und die Leichenberge lichtete sie aus nächster Nähe ab, Bilder der Aufklärung und der Anklage. Dieselbe Fotografin, man möchte es kaum glauben, hatte einige Zeit zuvor noch sehr kunstvolle Bilder gemacht, mit harten Kontrasten von Licht und Schatten, mit extremen Anschnitten, mit verfremdenden Ausschnitten. Die Möglichkeiten des Mediums Fotografie ausreizen, um ein eigenes Bild der Welt zu schaffen, in vielen Fällen ein sehr traumhaftes, dies war ihr Credo.

1929, im Alter von 22 Jahren, war Miller von New York nach Paris übersiedelt, in die pulsierende Kunst-Metropole, um bei Man Ray, dem Meister des Surrealismus, das Fotohandwerk zu lernen. Als Fotomodel hatte sie in Amerika gearbeitet, nun drängte es sie hinter die Kamera.

Dokumentation der Nachkriegszeit

Drei Jahre dauerte die Zusammenarbeit mit Man Ray, es soll eine Arbeits-und Lebensgemeinschaft gewesen sein, und die macht es heute noch schwer, einzelne Bilder Ray oder Miller exakt zuzuordnen. In der Wiener Ausstellung werden mitunter beide als Urheber angeführt. Lee Miller galt lange Zeit bloß als Muse von Man Ray, sie als eigenständige Fotografin zu rehabilitieren, ist eines der Anliegen von Kurator Walter Moser.

Viele der ausgestellten Werke haben nicht einmal Postkartenformat. Der Ausstellungsbesucher muss sich weit vorbeugen, um Details zu erkennen. Dafür hat er es großteils mit Vintages zu tun, mit Abzügen, die die Künstlerin selbst geschaffen hat.(Die Albertina bietet übrigens im Rahmenprogramm Vergrößerungskurse in der hauseigenen Dunkelkammer an.)

Auf einem Bild von Miller ist die Albertina zu sehen: das Dach zerstört, vor dem Gebäude aufgehäufte Ziegelsteine. Miller war auch in Wien, um die Nachkriegszeit in den besiegten Ländern zu dokumentieren. Später ging sie nach London, wo sie im Alter von 70 Jahren starb.

Das letzte Vierteljahrhundert soll sie kaum noch die Kamera angerührt, dafür umso öfter zur Flasche gegriffen haben. Manche sagen, dass es für sie einfach unmöglich war, nach dem unmittelbar erlebten Horror weiter als Fotografin zu arbeiten.

Lee Miller bis 16. August, Albertina tägl. 10-18 Uhr, Mi 10-21 Uhr www.albertina.at

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