Spaziergänge, Skepsis und Südtirol

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Zweifellos haben die Ereignisse seit der Abspaltung Südtirols und der darauf folgenden Italienisierung tiefe Wunden gerissen. Diese Vergangenheit hält Tiroler Autoren auf Trab, Bernhard Schuchter ist einer von ihnen. In seinem Roman wird klar: Das Leben verlangt nach einer Deutung, der man sich nicht verweigern darf, ohne Schaden zu nehmen.

Schuchter bedient sich dreier Hauptfiguren, um der Geschichte nachzuspüren. Wir schreiben das Jahr 1990. Ein unplatzierter Ball landet auf der Fensterscheibe des als grantig verschrienen Josef Lahner. Lukas, der Schütze, muss sich entschuldigen und als Abbitte dem etwas gebrechlichen Pensionisten zur Hand gehen. Widerwillig folgt er der Anordnung seiner Mutter. Da geschieht das Unerwartete: Lukas fängt an, dem "Alten" zuzuhören. "Vielleicht konnte er hier, in seinem strafweisen Exil, mehr lernen, als stumm auf einem Stuhl zu sitzen." Die beiden unternehmen lange Spaziergänge, bei denen Lahner dem Jungen seine Lebensgeschichte erzählt und seine Ansichten vom Leben mitteilt. Gierig saugt Lukas dieses Wissen auf. Dadurch skeptisch geworden, beginnt er an den Erzählungen, mit denen er seit je gefüttert worden ist, zu zweifeln: Andreas Hofer, die verhassten Deutschen und Wiener, die Geschichte Südtirols -alles erfährt eine Neubewertung.

Der alte Mann hat manche Geheimnisse. Eines davon betrifft seinen Gefängnisaufenthalt. Zur Zeit der Bomben in Südtirol war er zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen, geriet ins Visier der italienischen Behörden und wurde gefoltert.

Das Schweigen der Schuldigen

Einer, Giuseppe Monte, die dritte zentrale Figur, der damals dabei war, trifft unvermutet auf Lahner und muss sich seiner Vergangenheit stellen. Er war zwar kein Täter, aber er hat gewusst und geschwiegen. Das Schweigen spielt eine große Rolle in diesem Roman, das Schweigen der Schuldigen, das schlechte Gewissen, das stumm macht. Erst das Gespräch eröffnet einen Raum, in dem Begegnung möglich wird, vielleicht sogar Versöhnung.

Die Position des personalen Erzählers ist ganz nah dran an den Figuren, aus deren Perspektive erzählt wird. So werden etwa Lukas' Beobachtungen und Gedanken authentisch aus der Sicht des Zehnjährigen wiedergegeben. Die Bereitschaft zum Infragestellen einmal gemachter Vorstellungen, fixierter Lebenskonzepte zeichnet die innere Haltung von Schuchters Protagonisten aus. Großartig wird dieses In-Zweifel-Ziehen der eigenen Erinnerungen inszeniert, bis hin zur Möglichkeit einer Korrektur der Vergangenheit. "Es ist Zeit, den Nebel zu lichten, es kommt Föhn auf. Ab heute gibt es Föhntage."

Föhntage Roman von Bernd Schuchter Braumüller Verlag 2014 184 Seiten, geb., € 19,90

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