Werbung
Werbung
Werbung

Die katastrophalen Folgen von Hitler sind noch längst nicht zu Ende beobachtet: so etwa verhinderte die zwölfoder siebenjährige Sperre von "Entarteter Kunst" die Kenntnis einer wichtigen Entwicklung und die Begegnung mit bedeutenden Werken. Sie ließ keinerlei Auseinandersetzung mit damaliger Avantgarde zu - die dann in weitgehender Unwissenheit noch einmal erfunden wurde. Blättert man heute in der ausgezeichneten Dokumentation "Futurismus" von H. Schmidt-Bergmann (Rowohlt 1993), kann man wieder überrascht sein, wie deutlich heutige sogenannte Avantgardismen, die begeistert akklamiert werden, bloß (unbewußte oder bewußte) Wiederholungen längst verblichener Revolutionen von vorgestern sind.

Allerdings fehlt den angeblichen Sensationen von heute die frische Authentizität, die den Originalen von damals eigen war. Damals erhob sich tatsächlich ein Sturm in einer erstarrten, staubbedeckten bürgerlichen Welt, die eine Innovation verständlich erscheinen ließ. Natürlich geriet der Aufstand in maßlose Übertreibung und steigerte zunehmend seine Exzesse. Marinettis futuristische Manifeste sind voller heute aktueller Parolen wie: "Führen wir mutig das Häßliche in die Literatur ein, und töten wir die Feierlichkeit, wo immer wir sie finden." Oder: "Futuristische Vernichtung der Meisterwerke, weil es sie plagiiert, parodiert ... wie eine x-beliebige Attraktion." Dann heißt es: "Man muß das Ich in der Literatur zerstören ... Der durch Bibliotheken und Museen vollkommen verdorbene, einer entsetzlichen Logik und Weisheit unterworfene Mensch ist ganz und gar ohne Interesse." Das futuristische Theater will das Publikum "reizen und schockieren". Und "Ich habe euch gelehrt ... die Intelligenz zu hassen".

Ein "Theater der Schockwirkungen, des Rekords und der Psychotollheit" soll erreicht werden, wobei die "gesamte klassische Kunst zu prostituieren" sei, indem man "zum Beispiel an einem einzigen Abend sämtliche griechischen, französischen und italienischen Tragödien in Kurzform oder in einer komischen Mischung aufführt". Ständig "neue Möglichkeiten zu schockieren, sind zu suchen". Enzensberger schrieb schon 1962: "Die Avantgarde hat sich (damals 1909) zum erstenmal als doktrinärer Clan organisiert, und sie hat schon damals die blinde Aktion und offene Gewalt gepriesen." Neuigkeiten von 1909?

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung