Südamerika ist voller Legenden

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Ihr Vater Luis erhielt 1985 den Auslands-Oscar. Aber Lucía Puenzo ist längst in seinen Fußstapfen unterwegs. Ihr Film „Das Fischkind“ kommt nun hierzulande ins Kino.

Mit dem Transgender-Drama „XXY“ machte die argentinische Regisseurin Lucía Puenzo 2007 Furore. Nun hat Sie ihrem Roman „Das Fischkind“ verfilmt. Im Gespräch mit der FURCHE erzählt Puenzo von Tierperspektiven, Frauenverstehern und dem „magischen Realismus“ lateinamerikanischer Filme.

Die Furche: Sie haben „Das Fischkind“ mit 23 Jahren geschrieben, aus der Perspektive Ihres Hundes. Waren Sie nicht gern ein Mensch?

Lucía Puenzo: Doch, aber mein Hund hatte mehr Humor als ich. Er war gerade gestorben und mir fehlte plötzlich die Möglichkeit, mir vorzustellen, wie er die Menschen sah. Für den Film musste ich die Perspektive natürlich ändern und arbeitete sieben Monate daran. Dann brauchte ich noch ein Jahr, um das Team zusammenzustellen, das die Legende vom Fischkind so erzählen wollte.

Die Furche: Warum? Was hat es damit auf sich?

Puenzo: Lateinamerika ist voller Legenden. Die Menschen verpacken darin Lebensweisheiten, verarbeiten damit aber auch wirklich Erlebtes und Traumatisierendes. Diese Erzählungen geben sie an andere weiter und lösen sich so vom Schmerz, ohne andere damit zu belasten, weil das Leid darin ja verkleidet ist. Deswegen besteht großer Respekt vor Legenden. Man lässt diese oft lieber ruhen und verpackt sie schon gar nicht „modern“. Aber Filmemachen in Argentinien ist momentan ohnehin eine raue Angelegenheit. Es gibt wenig Geld und Drehgenehmigungen sind schwer zu kriegen. Es herrscht die Befürchtung, Argentinien könnte in falschem Licht dargestellt werden, krimineller, ärmer als es wäre. Da sind Politiker dahinter, die mit nationalistischen Parolen Wahlen gewinnen wollen und vor der Realität die Augen verschließen. Bereits in der Vor-Produktion von „Das Fischkind“ wurden auch wir dreimal gestoppt.

Die Furche: In Ihren beiden Filmen greifen Sie die Themen Transsexualität und Homosexualität auf – stießen Sie auch deswegen auf Hindernisse?

Puenzo: Nicht beim Machen der Filme, aber natürlich hat es in der Rezeption viele Diskussionen gegeben, was in einer Gesellschaft möglich sein darf und was nicht, erst recht in einem überwiegend katholischen Land. Aber wer entscheidet das eigentlich, dass es nur zwei Arten geben darf, ein Mensch zu sein? Mann bzw. Frau und heterosexuell? Wichtig ist jedoch am Ende die Frage: Wie kann man eine Identität finden in der Welt? In Argentinien gibt es wenige Filme zu diesen Themen. In den vergangenen Jahren explodierte allerdings die Anzahl an argentinischen Regisseurinnen richtiggehend – und zwar in verschiedenen Genres.

Die Furche: Hat der magische Realismus aus der Literatur generell einen großen Einfluss aufs lateinamerikanische Kino?

Puenzo: Bestimmt, vor allem im Kern vieler Geschichten. „Das Fischkind“ ist ein Beispiel dafür, auch dafür, wie die kulturellen Gegebenheiten des Landes Eingang in die Filme finden.

Die Furche: In „Das Fischkind“ fliehen die jungen Frauen Lala und Guayí aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten in ihre eigene Welt. Eine Welt, die sie in Paraguay zu finden glauben. Wofür steht das Nachbarland?

Puenzo: Die Migration von Aymaras oder Guaraní, also sogenannten Indios oder ‚Ureinwohnern‘ aus Bolivien und Paraguay ist in Argentinien sehr präsent. Die Migranten arbeiten auf Baustellen oder als Hausangestellte. In ganz Lateinamerika ist es üblich, Hausangestellte zu haben, auch in der Mittelschicht. Das ist ein Phänomen, das in Europa kaum existiert. Die Hausangestellten verbringen den ganzen Tag im Haus ihrer Arbeitgeber, viele wachsen mit dieser Familie richtiggehend auf. Kinder haben dadurch „Halb-Schwestern“, „Halb-Brüder“ oder eine zweite Mutter, die eine alte Kultur miteinbringen. Lala, die reiche Tochter, steht ihrer Familie fremd gegenüber. Das Hausmädchen Guayí ist ihre Verbündete und Geliebte. Lala ist fasziniert von Guayís Muttersprache Guaraní. Für Spanisch Sprechende hat diese Sprache etwas Mystisches. Im Film werden Guayís Gesänge zum Fenster ihrer Identität und zum Fluchtpunkt für beide.

Die Furche: Verwirklichen Sie sich mehr im Film oder in der Literatur?

Puenzo: Was ich schreibe, bin ich. Aber ich will auch, dass das jemand anderer sieht. Da bleibt nur Film. Wahrer Erfolg ist es, wenn es gelingt, eine Welt zu schaffen, die immer originär diesem Menschen zugeordnet werden muss. Künstler wie John Cassavettes, Vladimir Nabokov, Michael Haneke, Pablo Picasso, Jorge Luis Borges fallen mir da ein: Man sieht ein Werk von ihnen und weiß, das sind sie. Mein Ziel ist, Geschichten erzählen zu können, die ich erzählen will.

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