Sukzession in der Verantwortung

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Generationengerechtigkeit

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Generationengerechtigkeit

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Die Finanzkrise geht weiter. Jetzt brechen die öffentlichen Haushalte unter den Stützungen zusammen. Ist es moralisch, dass wir diese Schulden für nachkommende Generation aufhäufen?

Die Halacha betrachtet die Rückzahlung von Schulden als moralische und religiöse Verpflichtung. Ob ein durch Arbeitslosigkeit und Hypothekenlast völlig verarmter Schuldner je von der Pflicht der Rückzahlung befreit wird, ist in der rabbinischen Literatur durchaus umstritten. Joseph Karo (1488-1575) ist der Meinung, die Schuld bliebe erhalten, Meir Auerbach (1815-78) dagegen hält Verarmung für einen Grund zum Schuldenerlass. In unserer Zeit beschränkt R. Yaakov Yeshaya Blau in seinem Werk "Pischei Choshen“ den Schuldenerlass auf Fälle, wo durch höhere Gewalt eine Rückzahlung unmöglich geworden ist. Und trifft diese Schuldnerhaftung auch unsere Nachkommen? Manche verweisen auf den Propheten Ezechiel (18,20), wo es heißt: "Der Sohn soll nicht die Schuld des Vaters tragen und der Vater soll nicht die Schuld des Sohnes tragen.“ Doch Ezechiel meint damit keine Schulden im finanziellen Sinn.

Auch der Verweis aufs Jobeljahr bringt nicht recht weiter, denn dieser Schuldenerlass bezieht sich einzig auf völlig unbesicherte Forderungen (Moses Maimonides 1135-1204). Außerdem haben die Rabbinen generell den biblischen Idealismus des geregelten Schuldenschnitts zu umgehen gewusst. Denn wer gäbe noch Kredit, wenn das Erlassjahr naht? So werden die kommenden Generationen also auf den Schulden sitzenbleiben, die wir heute aufhäufen, auch wenn uns dies moralisch fragwürdig erscheint.

Vielleicht ist das der Unterschied zwischen dem Paradies und dem realen Leben: Nach dem Sündenfall ist es mit der Unbeschwertheit vorbei und wir stehen in einer Sukzession der Verantwortung.

* Der Autor, Rabbiner, leitet das Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin

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