Talkshow ohne Gnade

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Uraufführung von Mitterers "Tödlichen Sünden" in Innsbruck.

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Uraufführung von Mitterers "Tödlichen Sünden" in Innsbruck.

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Ein erschütterndes Zeitbild ohne Erbarmen entwirft Felix Mitterer mit seinen "Tödlichen Sünden" in den Innsbrucker Kammerspielen. Wie schon Franz Kranewitters "Sieben Todsünden" läßt auch Mitterers Auftragswerk des Tiroler Landestheaters keine Schuldzuweisungen zu. Der österreichische Erfolgsautor dokumentiert - der mahnende Zeigefinger fehlt ganz. Verblüffend muten zu Anfang des Stückes die Menschen an, die die Regie Torsten Schillings auf die futuristisch aufgemachte Rundbühne stellt (Ausstellung: H. Lauckner): Computerwesen in auswechselbaren Masken, manipulierbar und ohne Individualität. Doch bald erkennt man: Das sind ja wir selbst! Wir Menschen, die wir in der existentiellen Leere unserer Zeit das Leben aus der Computerkonserve beziehen. Medial manipulierbare Zeitgenossen - im Stück ganz hervorragend vertreten durch Günter Lieder, Eleonore Bürcher, Claudia Stanislau, Alexa Wilzek -, die Gott abgeschafft und durch die "sakramental verdichteten" Fernsehgötter ersetzt haben. Und in der Art einer voyeuristischen Talkshow - in der sich der vereinsamte Mensch an den inhaltsleeren Lebensgeschichten anderer aufgeilt - bringt Felix Mitterer auch seine Todsünden vor: Hochmut, Trägheit, Unzucht, Zorn, Geiz, Neid, Unmäßigkeit. Sieben in sich verzahnte Einakter können Leben, Sünde, Heil nicht mehr voneinander unterscheiden. "Tödliche Sünden" sind nicht mehr die katholischen Todsünden, sie greifen auf die archaische Sicht des verfluchten Menschen und seiner verhängnisvollen Existenz zurück.

Da will, zum Beispiel, der Vater den Sohn als Tennisstar neu erschaffen und die Mutter wird zur Gebärmaschine degradiert; die Langeweile treibt den Arbeitsverweigerer zum Selbstmord, der Sado-Maso-Sex regiert frei Haus, der Kinderschänder hat Familiensinn, Mord wird zur "Guttat" und Magersucht zum ungehörten Hilferuf ...

Und gerade die "Banalität dieser sattsam bekannten Alltagsgeschichten mit ihren lapidaren Platitüden" - (als die sie uns Maskenträgern erscheinen mögen!) - steigert das Grauen vor Mitterers apokalyptischer Botschaft!

Der Autor, selbst Produkt einer Welt, in der Personen auf Masken reduziert sind und Götter aus dem Glotzophon dirigieren, kann weder vor der Sünde warnen, noch Hoffnung auf Erlösung anbieten. Als Künder seiner Zeit muß er in seinem Stück auf Buße verzichten, wie er auf Gott verzichten muß. Und auch der schwache Hoffnungsschimmer am Ende des grausigen Spiels ist nichts anderes als der desillusionierende Gag einer gnadenlosen Talkshow.

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