Tun, was Calvin ans Herz legt

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Thema: Wirtschaftskrise

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Johannes Calvins fünfhundertster Geburtstag fällt ins Jahr der globalen Wirtschaftskrise. Das gibt Anlass zu Rettungsaktionen: Nein, lese ich allenthalben, der Genfer Reformator zähle keineswegs zu den Begründern des Kapitalismus. Er habe nämlich auch Sätze wie diesen geschrieben: „Dem Gebot werden wir … dann Folge leisten, wenn wir uns mit unserem Besitzstand zufrieden geben und nur ehrenhaften und erlaubten Gewinn erstreben, nicht mit Unrecht reich zu werden trachten, uns auch nicht bemühen, dem Nächsten sein Gut zu entreißen, um dadurch selber Gewinn zu haben ...“ (Institutio Christianae Religionis II,8,46).

Wohl wahr. Bloß: Die erfreulich aktuelle Calvinsche Sozial- und Wirtschaftsethik ist eingebunden in eine sehr entschiedene Jenseitsorientierung: „Verachten“ (III, 9,1) sollen wir unser diesseitiges Leben im Grunde, uns ganz ausrichten auf das, was uns nach dem Tod erwartet.

Manchmal habe ich den Verdacht, Protestantinnen und Protestanten, auch ich selber, zögen aus dieser hellenistischen Diesseitsverachtung den alltäglichen Schluss, man müsse es mit der Gerechtigkeit eben doch nicht gar so genau nehmen. Denn schließlich handle es sich dabei ja nicht um das Wesentliche.

Dass Mentalitäten sich sehr langsam ändern, sagt uns die Geschichtsforschung. Auch wenn viele Protestantinnen und Protestanten sich heute ersttestamentlich-diesseitig geben, steckt sie doch noch tief in uns: die Vorstellung, das Eigentliche finde nicht hier auf Erden statt, sondern irgendwo anders. Vielleicht sollten wir einfach wieder einmal tun, was Calvin uns ans Herz legt: Die Bibel lesen und dabei feststellen, dass dieses Buch in großen Teilen das Heil keineswegs in ein „höheres“, vorerst unsichtbares Jenseits verlegt.

Der Autorin ist Germanistin und evangelische Theologin. Sie lebt in der Ostschweiz

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