Unfreiwillige Megäre

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Alice Schalek - Fotografin und Reisejournalistin.

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Alice Schalek - Fotografin und Reisejournalistin.

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Anfang der fünfziger Jahre erhielt ein presbyterianischer Pfarrer in New York dreißig Fotoalben mit etwa 6.000 Schwarzweißaufnahmen aus allen Teilen der Welt geschenkt. Als die zwischen 1903 und 1935 entstandenen Aufnahmen aus den Balkanstaaten, den Mittelmeerländern, aus Afrika, Indien, Australien, Ozeanien, dem Nahen Osten, Ostasien und Südamerika Ende der siebziger Jahre zu Geld gemacht werden sollten, konnte die Österreichische Nationalbibliothek die aus Österreich stammende Sammlung ankaufen und besitzt nun dokumentarische Zeugnisse einer faszinierenden "Welt von gestern": Samoanische Tänzer auf Neuguinea aus dem Jahr 1913, eine Szene in einem japanischen Kindergarten von 1911,eine Fürstenhochzeit im Indien des Jahres 1928, eine reitende Beduinenfrau von 1905, ein barfüßiger Verkehrspolizist aus Sansibar von 1931 oder drei junge Mädchen vor einer palästinensischen Landwirtschaftsschule aus dem Jahre 1935 zeigen eine Welt, die durch Industrialisierung und Massentourismus heute weitgehend zerstört oder stark verfälscht ist.

Der Urheberin dieser Fotos, der Journalistin und Reiseschriftstellerin Alice Schalek (1874-1956) gedenkt das Jüdische Museum Wien (bis 30. Jänner 2000) in der Ausstellung "Von Samoa zum Isonzo". Die aus großbürgerlichem jüdischen Haus in Wien stammende frühe Ferneisende ist vielen dem Namen nach aus Karl Kraus' "Letzten Tagen der Menschheit" bekannt, der sie als megärenhafte Kriegsberichterstatterin des Ersten Weltkrieges zeichnet. Die wurde die Schalek aber notgedrungen, da der Kriegsausbruch weite Fernreisen unmöglich machte.

In ihren Reiseberichten und Fotos , die sie in der Neuen Freien Presse, in deutschen und englischen Zeitungen und mehreren Büchen veröffentlichte, zeigt sich Alice Schaleks professionelle Beobachtungsfähigkeit, ihr anteilnehmender, wenngleich europäischer Blick. In späteren Jahren wurden ihre Beiträge und Aufnahmen immer mehr kritisch- engagiert, sie setzte sich mit politischen Veränderungen, mit der Situation der Frau in den von ihr bereisten Regionen auseinander. 1938 konnte sie über die Schweiz und London nach New York fliehen, wo sie sehr zurückgezogen lebte. 1956 starb sie in einem Pflegeheim bei New York.

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