Manchmal werde ich gefragt, woran künstlerische Qualität zu erkennen sei. Wie komme ich in den Zustand, Qualität zu erkennen? Ich muss viel sehen und viel vergleichen. Es ist eine permanente Übung, ein nie endendes Verfeinern der Aufmerksamkeit.
Ist es also etwas, das mich zu einem Angehörigen einer ästhetischen Hochkultur werden lässt, dem Angehörigen eines Reiches, zu dem nur wenige Zugang haben? Im Vergleich zu diesen handverlesenen Hochverfeinerten wären die meisten anderen Menschen rohe Klötze, mit einer Sensibilität ausgestattet, die sie gerade alltagstauglich macht. Die Hochkultur der Wenigen wäre von den Niederungen des Lebens der breiten Masse weit entfernt.
In manchen Momenten sehnen sich die Menschen aus dem Alltäglichen fort, ins ganz Andere. Sie wollen "aussteigen“. Sie machen sich auf die Suche nach einem neuen Leben.
Von dieser Suche handelt auch das jüngste Buch von Walter Kappacher, "Land der roten Steine“. Fast scheint es, als sollte das Neue in der höchsten Verfeinerung der Wahrnehmung gefunden werden. Der zentrale und umfangreichste Teil des Buches schildert einen Aufenthalt im Canyonland, fern des heimatlichen Badgastein, wo alles zu gewöhnlich, zu alltäglich geworden ist. Das Canyonland, eine Hochebene für eine Hochkultur der Wahrnehmung. Im dritten Teil des Romans wird mit derselben feinen Wahrnehmung, der gleichen behutsamen und fast scheuen Sprache der Alltag des Reisenden, eines in den Ruhestand getretenen Arztes, geschildert. Und es zeigt sich, dass auch Badgastein mit allem Alltäglichen "in der Höhe“ liegt. Die Sprache des Buches braucht keine großen Inhalte, um "in der Höhe“ zu sein, sie ist es mitten im Alltäglichen.
Ich würde meinen, das sei ein Kriterium für künstlerische Qualität, wenn es keiner Auslese der Welt, keiner elitären Verfeinerung bedarf, um "in der Höhe“ zu sein. Kunstwerke dieser Art zeigen mir, dass die Erfüllung nicht in einer fernen Hochebene zu finden ist, sondern ums Eck. Ich muss lernen, ums Eck zu schauen.
Der Autor ist Rektor der Jesuitenkirche in Wien
