Volksfrömmigkeit und Schultheologie

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Thema: Volksfrömmigkeit?

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Thema: Volksfrömmigkeit?

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Viele Protestantinnen und einige Protestanten mögen Maria. Nicht etwa, weil sie über die Mutter Gottes etwas im Konfirmandenunterricht gelernt hätten, sondern weil ein Himmel ohne Weiblichkeit steril ist. Es gibt auch Christinnen, die Juden und Muslimas um die Freiheit beneiden, in Jesus von Nazaret einfach einen Propheten zu sehen. Sie kapieren nämlich einfach nicht, was es mit dieser geheimnisvoll-hochparadoxen Gottessohnschaft auf sich hat. Andererseits finden etliche Muslime und Jüdinnen den Gedanken attraktiv, dass der Eine Gott nicht einsam und allein oben im Himmel thronen muss, sondern gesellig lebt und webt, wo Sie will: dreifaltig.

Schultheologen sind geneigt, solch unbekümmertes Abweichen von der reinen Lehre als „Volksfrömmigkeit“ links liegen zu lassen. Sie haben gelernt, sich auf Grenzen zu konzentrieren, deren präzisen Verlauf man unentwegt bekräftigen muss. – Wozu eigentlich? Da wir doch alle von ähnlichen Geschichten herkommen und letztlich glauben, was uns leben hilft?

Die neue Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Kässmann, hat gesagt, dass sie an die Politik ihres Vorgängers Huber anschließen will: an die Politik der Absicherung dessen, was man „protestantische Identität“ nennt. Aber täusche ich mich, oder hat sie ein bisschen gelächelt, als sie diese erwartbare Erklärung zu Protokoll gab? Margot Kässmann ist zwar Doktorin der Theologie, aber sie ist auch eine erfahrene Ökumenikerin und eine unängstliche Person. Ich freue mich, dass wir Protestantinnen und Protestanten mit dieser Bischöfin vorangehen können in das, was ich das „intervitale Gespräch“ der Menschen nenne, die ihr Herkommen so lieben, dass sie es nicht mit akademischen Zähnen und Klauen verteidigen müssen.

* Der Autorin ist Germanistin und protestantische Theologin. Sie lebt in der Ostschweiz

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