Vom Steinzeit-Sex zur Peep-Show

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Zwei Ausstellungen in Innsbruck bieten seriöse, witzige und höchst erstaunliche Einblicke in 100.000 Jahre Sexualität.

Vor etwas weniger als 100.000 Jahren begann der anatomisch moderne Mensch, seine Gedanken und Gefühle in Kunst auszudrücken. Die "Sex-Schau" im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum und Zeughaus lüftet den Schleier der zwischenmenschlichen Sexualität ab der späten Eiszeit in Europa (vor 35.000 bis 10.000 Jahren) ganz ohne "Genierer" mit kleinem Augengezwinker, aber durchaus streng wissenschaftlich. Obwohl es gar nicht so einfach war, alle Verantwortlichen von Sinn und Zweck der archäologisch fundierten "Sexorgien" zu überzeugen - wie Museumsdirektor Dr. Gerhard Tarmann schmunzelnd feststellt -, werden im "Heiligen Land" nichts desto weniger "100.000 Jahre Sex" anhand von rund 250, teils recht saftigen Exponaten, kulturgeschichtlich durchgespielt: Liebe, Erotik, Verführung und Wollust - ungewöhnliche und doch alltägliche Themen, die, betrachtet man die Entwicklungsgeschichte der Menschheit, stets aktuell waren und sind.

Die üppige Leibesfülle der wohlbekannten "Venus von Willendorf" lockt gleich beim Eintritt ins museale Haus nicht nur männliche Besucher an. Diese Replik mit Rundbäuchlein und bombastischem Busengewoge war vor 25.000 Jahren möglicherweise als Idol natürlicher Arterhaltung gedacht; heute wäre sie ein eigenwilliges Sexsymbol, das neben sich auch jede Dame ab Kleidergröße 46 absolut gazellenhaft erscheinen ließe.

Durchaus sexy hingegen ist das transparente Miniröckchen einer ca. 3000 Jahre jungen Moorleiche, vermutlich einer Tänzerin, die den bronzezeitlichen Burschen ordentlich eingeheizt haben dürfte. Skurril mutet die goldene "Penisprothese" an, die in einem kupferzeitlichen Grab Bulgariens genau am richtigen Plätzchen eines männlichen Skeletts gefunden wurde, obwohl sie möglicherweise, laut wissenschaftlichen Erwägungen, erst später von einem Witzbold daselbst angebracht wurde.

Tirol ist erst ab der Eisenzeit vertreten: Figürchen von Brandopferplätzen entsprechen kaum den Pin-ups heutiger Männerträume, sind aber dennoch recht anregend. Wahre Feinspitze der Sexualität waren Griechen und Römer: Drastische Liebesverschränkungen jeglichen Gustos, dargestellt auf Trinkgefäßen, Öllampen, Amuletten, auf den Wandgemälden in Pompej usw. reflektieren unverblümt eine tabulose Sexualität, die sich erst mit der Christianisierung deutlich wandelte.

Den Moral-und Wertvorstellungen vom Mittelalter bis zur Neuzeit darf der neugierige Besucher dann im Zeughaus-Museum nachschnüffeln, wo er auf allerhand Unglaubliches von anno dazumal stoßen wird. Auf eine bis zum Kinn zugeknöpfte Erotik aus der Viktorianischen Zeit, die allein der Fortpflanzung zu dienen hatte, auf Anrüchiges, zum Schreien Witziges und höchst Erstaunliches, wie in Milch eingeweichte Kondome, Dildos im Dutzend, römische Lederbikinis, unverwüstliche Keuschheitsgürtel aus Eisen oder zerbrechliche Glasphalli mit Pumpe... Und das nicht nur in der Peep Show des 19. Jahrhunderts, die mit pfiffigen Stereodaguerreotypien in Farbe punktet, oder im streng verbotenen Gabinetto Segreto des Britischen Museums, sondern auch in den mittelalterlichen Bußbüchern ... Genug! Selber spekulieren gehen.

Die Wanderausstellung mit Start im Drents-Museum in Assen, Niederlande, erweitert durch Objekte des Instituts für Archäologie der Universität Innsbruck, des Tiroler Volkskunstmuseums sowie durch eigene Bestände, wird bis 2008 durch Europa ziehen.

Kulturgeschichte der Sexualität 100.000 Jahre Sex

Eine archäologische Ausstellung über Liebe, Fruchtbarkeit und Wollust

Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum

Museumstraße 15, 6020 Innsbruck

www.tiroler-landesmuseum.at

Tel. 0512/59489-101

Bis 10. 9. tägl. 10-18, Do 10-21 Uhr

Museum im Zeughaus

Zeughausgasse, 6020 Innsbruck

Tel. 0512/59489-313

Bis 10. 9. tägl. 10-17 Uhr

Katalog: 100.00 Jahre Sex. Über Liebe, Fruchtbarkeit und Wollust. Hg. v. Vincent T. van Vilsteren u. Rainer-Maria Weiss. Hamburg 2004, 108 S. mit Abb.

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