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Was verbindet Politiker und Journalisten? Jedenfalls ihre gemeinsame Vorliebe für die Redewendung vor Ort. Ob es sich um eine Naturkatastrophe oder einen Parteitag handelt, Reporter machen sich flugs auf den Weg, um vor Ort darüber zu berichten. Wer ein öffentliches Amt ausübt, ob als Minister, Bürgermeister oder Gewerkschaftsfunktionär: es gehört zu seinem Selbstverständnis, sich vor Ort über Sachverhalte, Probleme und Anliegen zu informieren. Das bezeugt Bürgernähe und spricht für Engagement. Doch warum geschieht das alles nicht am Ort? Oder noch deutlicher gesagt: an Ort und Stelle? Vermittelt die Präposition vor nicht den Eindruck, der Berichterstatter oder der Würdenträger erreiche gar nicht den eigentlichen Schauplatz, sondern bleibe in seinem Vorfeld stehen?

Der Blick auf die Wortgeschichte von Ort zeigt für das Mittelalter eine Hauptbedeutung "Spitze", besonders von Schwert und Speer. Aus einer weiteren Lesart "Ecke, Ende" entwickelte sich im Idiom des Bergbaus mit neutralem Geschlecht (das Ort) die Bezeichnung für den Abbauraum, also für den Punkt in der Grube, an dem gerade gearbeitet wurde. In diesem Fall decken sich grammatikalische Form und Semantik, denn die Bergleute werken tatsächlich vor dem Streckenende im Minenschacht.

Funktionalstile bereichern die Umgangssprache mit Wortspenden und knappen Phrasen. So wird sich auch der Politiker oder der Berichterstatter mit der Wendung vor Ort zunächst als Sachverständiger ausgewiesen und als Kumpel' - wieder ein Bergmannsvokabel - empfohlen haben. Heute ist die ehemals sinnhafte Fügung zur so beliebten wie beliebigen Floskel des Medienjargons verblasst, die im sprachlichen Alltag zunehmend heimisch wird. Kennt man den Ursprung der Formel, so ist es wohl nicht fehl am Ort, den Leitfiguren des öffentlichen Lebens ein kräftiges "Glück auf!" zuzurufen. Sie wissen es hoffentlich zu schätzen.

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