Was von Eis und Schnee bleibt

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Seit mehr als einer Woche ist es eisig kalt in Wien. Die Straßen waren verschneit. Alles war weiß. Von Straßen und Gehsteigen ist der Schnee fast ganz verschwunden. Aber das Weiß ist geblieben. Gehsteige und Straßen sind weiß. Ich gehe auf Salz. Die innere Stadt hat sich in eine Salzwüste verwandelt. Die armen Hunde. Von den Pflanzen nicht zu reden. Arm sind auch alle die dran, die jetzt ein Gebäude sauber zu halten haben.

Ein Kirchenrektor ist eine Mischung von Intendant und Hausmeister. Beides bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Auch für den Zustand des Gehsteigs vor der Kirche etwa. Dort räume ich den Schnee weg und verwende Salz nur dann, wenn sich Eisschichten gebildet haben, die nicht anders wegzubekommen sind. Meine Kollegen, die professionellen Schneeräumer, machen das anders. Sie schaffen den frisch gefallenen Schnee zur Seite und streuen dann ausgiebig Salz. Manchmal auch noch Splitt. So entsteht ein Weg, auf dem auch der Stocknüchterne ins Schwanken und Torkeln kommt. Aber das Ausrutschen bleibt einem erspart. Stattdessen stolpern alle durch eine dicke braune Brühe. Sie bedeckt weitgehend die Flächen der Innenstadt. Von ihr bleibt die Salzwüste.

Gemacht wird, was gerade notwendig ist. Alles andere ist schon zu viel. Die Konsequenzen des eigenen Tuns für andere werden kaum bedacht. Mit Pflege, Rücksicht, Vorsorge und Verantwortung hat das wenig zu tun. Es wird schnell reagiert, doch die Folgen der Reaktion treffen andere. Für wen ist der Zustand eines Gehsteigs noch Frage von Gestaltung?

Was geschieht mit einer Gesellschaft, deren Verantwortliche fast ausnahmslos reagieren? Sie reagieren vielleicht schnell, aber die Folgen ihres Tuns bleiben ihnen verborgen. Es wird ihnen die Zeit fehlen, sich darum zu kümmern. Denn es gibt schon wieder anderes, auf das zu reagieren ist. Wir gehen immer mehr durch Salzwüsten.

* Der Autor ist Rektor der Jesuitenkirche in Wien

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