Wessen Werke sind schöner?

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Einst fragte der böse römische Statthalter Tineius Rufus den Rabbi Akiba: "Wessen Werke sind eigentlich schöner, die Werke Gottes oder die Werke der Menschen?“ Rabbi Akiba antwortete: "Die Werke der Menschen!“ Auf diese Antwort war der Statthalter natürlich nicht gefasst, und er erwiderte: "Kannst du so etwas wie Himmel und Erde machen?“ Darauf Akiba: "Komm mir doch nicht mit Sachen, die außerhalb der menschlichen Macht liegen, sondern sprechen wir über etwas, das es unter den Menschen gibt.“ Rabbi Akiba ließ nun Ähren vom Feld und ansehnliche Brote aus der Bäckerei holen. Er zeigte auf die Ähren und sprach: "Das ist das Werk Gottes.“ Dann wies er auf die Brote und sprach: "Und das ist das Werk der Menschen. Ist es nicht schöner als das Werk Gottes?“ Danach ließ Akiba Flachsbündel vom Feld und feine Kleider holen. Wiederum nannte er das Naturprodukt "Werk Gottes“ und die Handarbeit nannte er "Werk des Menschen“. Dann wiederholte er seine Frage: "Ist denn das Werk der Menschen nicht schöner als das Werk Gottes?“

Der Midrasch Tanchuma drückt aus, welcher Optimismus dem Judentum eigen ist, wenn es um Innovation geht - technischen, aber auch geistigen Fortschritt. Wir gehen davon aus, dass der Mensch durch seine Vernunft und seinen Forscherdrang die Grenzen seines Daseins enorm erweitern und verändern kann. So sehr, dass sein Werk sogar die Schöpfung Gottes überstrahlt. Bei vielen Themen, die in den christlichen Kirchen Bedenken auslösen, sieht das Judentum eher die Chancen als die Gefahren - etwa in der Präimplantationsdiagnostik. Rabbi Akiba sagt aber auch: Was außerhalb menschlicher Macht liegt, davon soll der Mensch die Finger lassen. Wer vom Menschen und seinem Tun viel erwartet, der muss auch die Erkenntnisfähigkeit einüben, erspüren zu können, wo die Grenzen liegen.

* Der Autor, Rabbiner, leitet das Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin

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