Zauberformel Sondierungsgespräch

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Es war schon im heißen Herbst 1999 das politische Schlagwort der Saison, vom Bundespräsidenten höchstpersönlich in die öffentliche Diskussion geworfen: Vor überhasteten Entscheidungen seien Sondierungsgespräche zu führen. Dass sich das Neuwort zum Terminus des Politjargons verfestigt hat, wurde nach dem 24. November 2002 klar: Unisono wurde erneut der Ruf nach Sondierungsgesprächen laut.

Was macht das umständliche Vokabel so attraktiv? Es klingt seriös und bleibt doch unverbindlich, erweckt Hoffnungen, setzt Perspektiven und bewahrt zugleich die Möglichkeit zu Widerruf und Neuorientierung. Sondierungsgespräche halten mit ihrem Bedeutungsspektrum die Mitte zwischen technischer Präzision und verantwortlichem Handeln.

Der Sprachhistoriker glaubt den Grund zu kennen. Sonde, die Bezeichnung für das Lot in der Seefahrt, aber auch für das Wundeisen, die Senknadel in der Medizin, ist im 18. Jahrhundert als fachsprachliches Fremdwort aus dem Französischen zugewandert und wurde bald unentbehrlich, wie schon das zugehörige Verbum sondieren bezeugt. In der Weltraumfahrt ab der Mitte des 20. Jahrhunderts, aber auch in anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen ist dem Ausdruck neues Prestige zugewachsen: die Mondsonde, die Raumsonde, die Radiosonde legen beredtes Zeugnis ab.

Bringt man diese Wortgeschichte auf den Punkt, dann avanciert ein Politiker, der Sondierungsgespräche führt, zum verantwortungsbewussten Kapitän, der sein nautisches Handwerk versteht. Er fungiert quasi als erfahrener Arzt, der Wunden auslotet und Organe überprüft. Er mag auch als technologischer Experte gelten, der in bislang unerforschte Fernen vorstößt. Eine Fülle von erfreulichen Aspekten, und ein hoher Erwartungsdruck, der da auf der Politik lastet und zugleich keine geringe Gefahr birgt. Denn bei inflationärem Gebrauch und ohne erkennbaren Erfolg verkommt auch ein Hochwertvokabel bald zur Leerformel.

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