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Kirche im Nordlicht

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Die nordischen Länder werden in den übrigen Ländern Europas immer mehr Gegenstand wachsenden Interesses und für immer zahlreichere Touristen ein beliebtes Reiseziel. Was wissen wir jedoch bei allem Interesse für den Norden von den religiösen Verhältnissen und von der Stellung der katholischen Kirche in Skandinavien, Pinnland und Island? Wir wissen wohl, daß die nordischen Völker in überwiegender Mehrheit der evangelisch-lutherischen Konfession angehören. Wir wissen, daß in den nordischen Ländern, vor allem in Schweden und Dänemark, der allgemeine materielle Fortschritt und Wohlstand beachtliche Rekorde erreicht hat und daß die sozialen Einrichtungen ohne Zweifel fast alles übertreffen, was es in anderen Ländern ähnliches gibt. Wir wissen von einer sehr weitgehenden Freiheit der Sitten und der Ehemoral. Das Wissen um diese Dinge genügt jedoch nicht, um sich einen Begriff zu machen von den Problemen, denen sich unser Klerus und die katholischen Laien gegenübersehen.

In Wirklichkeit ist der lutherische Protestantismus in den nordischen Ländern nicht bloß im Besitz der Mehrheit, sondern, wie die Statistiken ausweisen, sozusagen im Besitz der Totalität. 95 bis 97 Prozent der Nordländer gehören formell und rechtlich der lutherischen Staatskirche an. Wir haben hier zugunsten des Luthertums eine praktisch fast vollständige Einheit, wie etwa in Italien und Spanien zugunsten der katholischen Kirche. In Schweden ist jeder Neugeborene nicht nur schwedischer Staatsbürger, sondern automatisch auch Mitglied der Staatskirche, schon bevor er noch getauft ist. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts wird dies so von Dänemark bd* zum Nordkap und von der Westküste Norwegens bis zur russischen Grenze gehandhabt.

Die Reformation vollzog eich auch im Norden nicht ganz ohne Widerstand. Während der drei Jahrhunderte wurde aber der katholische Einfluß total ausgeschlossen, so daß man von vorne beginnen mußte, als im 19. Jahrhundert demokratischere Verfassungen und eine liberalere Gesetzgebung der katholischen Kirche den Zugang wieder ermöglichten.

Heute sind wir immer noch am Anfang. Schon eine rasche und wenig vertiefte Beobachtung der religiösen Verhältnisse in Skandinavien enthüllt uns überraschende Kontraste. In allen nordischen Ländern ist die lutherische Kirche mit dem Staate verbunden, welcher sie rechtlich und finanziell trägt. Fast die ganze Bevölkerung ist in dieser Kirche getauft, so daß wir in der Regel die Konvertiten auch nicht bedingungsweise wiedertaufen. Die Messe wird in den Kirchen jeden Sonntag gefeiert, und auch die Kommunion wird ausgeteilt. Wohl können wir diese Messe (wegen der unsicheren apostolischen Sukzession) nicht als sakramental gültig anerkennen, wie auch nicht die Priesterweihe, aber ihre Struktur und ihr Ritus sind im wesentlichen der katholischen Messe ähnlich, und die Gläubigen, die zum Altare gehen, empfangen wenigstens eine wirkliche geistliche Kommunion.

In den letzten Jahrzehnten hat sich aber trotzdem der religiöse Indifferentismus derart ausgebreitet und die Säkularisierung des öffentlichen Lebens hat derart zugenommen, daß man sich mit Recht fragen muß, ob denn die wahren Christen noch mehr als eine fast verschwindend kleine Minderheit seien.

So wird zum Beispiel die Sonntagsmesse in Dänemark nur noch von ein bis fünf oder sechs Prozent der evangelischen Bevölkerung besucht, in Kopenhagen sind es sogar weniger als ein Prozent. Die praktische Gottlosigkeit und oft auch die bewußte, aber selten aggressive Gottlosigkeit sind unter den gebildeten Schichten sehr verbreitet, und sie gelten als fast selbstverständlich in wissenschaftlichen und Künstlerkreisen (aus welchen wir aber anderseits relativ zahlreiche Konvertiten bekommen). Die Autorität der Staatskirche ist recht problematisch und der Autorität des staatlichen Kultusministers unterstellt. Das theologische Denken ist in ständigem Fluß und in einer uneinheitlichen Verwirrung. Die sittlichen Auffassungen werden immer freier und ungezügelter, was sich zwar weniger in der Öffentlichkeit zeigt als im — wenigstens teilweisen — Fehlen des Sündenbegriffes und sittlicher Schranken und Verpflichtungen.

Welche Möglichkeiten hat nun die katholische Kirche im Norden in einer solchen Situation? Welches sind hier ihre Aufgaben? Und welche Schwierigkeiten behindern sie?

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