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Den Schreibtisch Paula Wesselys aufräumen. Sie besaß nicht nur einen. Alle Tische ihrer Wohnung wurden in den letzten Jahren Schreibtische. Tische, belegt und - so sie Laden hatten - gefüllt mit Schriftlichem. Zeitungsausschnitte, Kalender, Notizzettel, kleine Lyrikbändchen, Briefe. Nicht mehr erledigte Post - des öfteren ein Albtraum für meine Mutter. Menschen, die ihr halfen, ihre Post zu erledigen, kamen zeitweise zu so etwas Ähnlichem wie einem Heiligenschein.

Gerocknete Blumen, dazwischen Lesezeichen, vierblättriger Klee. Ihr Brillenetui lege ich auf die Seite, das ist noch nicht unbefangen in die Hand zu nehmen. Was haben wir dieses Etui gesucht für sie, erst als Kinder und später als Erwachsene. Sie besaß nie nur eine Brille, benutzte zumindest zwei Lesebrillen gleichzeitig und verlegte beide. Und las die Zeitung im hohen Alter dann ohne Brille. Mit neunzig klagte sie ernsthaft darüber, dass sie nun langsam alt werde, und das sei auch zu merken, sie hätte unlängst wieder einmal die Brille verlegt und jemanden bitten müssen, sie zu suchen. Sei das vorstellbar!? Unsere Einwände, dass dies doch schon immer so gewesen sei, ließ sie nur sehr bedingt gelten.

Noch mehr Kalender, Telephonnummern auf Briefkuverts geschrieben, die Neun immer schwungvoll, die Drei gebaucht und die Eins immer sehr, sehr gerade. Madonnenbildchen, "Gedanken zum Einschlafen", Autogrammkarten. Schlüsselchen zu Gepäckstücken, die es schon lange nicht mehr gibt. Nirgendwo ein Durcheinander, nur ein Miteinander. Es war ihre Ordnung.

Ausgeschnittenes aus Illustrierten, noch ein paar Kalender. Gehäuft haben sie sich, ihre Jahre. Auf der ersten Seite immer ihr handgeschriebenes "Mit Gott", das Rufzeichen dahinter auch immer sehr gerade.

Ein ausgeschnittener Furche-Artikel von mir, an den Rändern sonnenvergilbt. Oft war "Nur so am Rande" die sicherste Verbindung zwischen ihr und mir. "Schön, der von letzter Woche", sagte sie dann am Telephon, "ich hab auch alles verstanden". So ist dies nun mein Letzter. Der Letzte einer langen, langen Reihe. Mein Dank gilt "meinen" Lesern. Und den Mitarbeitern der Redaktion, die kamen und gingen, während ich blieb. Nun gehe ich, der Platz der Kolumne wird frei.

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