Zum fröhlichen Denkmal

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Franzobels "Hirschen" am Schauspielhaus Graz uraufgeführt: Viele Bravorufe für ein Stück, das eine unheimliche österreichische Vergangenheit auf die Bühne stellt.

Was wissen vier alte in Lederhosen und Trachtenloden gekleidete Widerstandskämpfer auf einer Bühne zu sagen, die der Lagerhalle des ehemaligen Konzentrationslagers Ebensee nachempfunden ist? "Wir sind noch da und geben keine Ruh" - gepresst intonierte Parolen laufen ihnen über ihre schmallippigen Münder. Sie geben in dieser Heimatposse den Chor, der immer dann seinen Auftritt hat, wenn man geneigt ist zu behaupten, nur damals sei der alpenländische Heimatboden für das Schreckliche empfänglich gewesen. Damals, das waren die letzten Kriegstage im Salzkammergut, die Zeit der Widerstandskämpfer, allen voran der legendäre Sepp Plieseis, denen Franzobel in seinem Auftragswerk für das Grazer Schauspielhaus ein skurriles Denkmal setzt. Mordlustige Nazi-Schergen schnüffeln von imaginären Kampfhunden gezogen umher. Mit Hirschgeweihen Gehörnte lauern dem Zittern der KZ-Flüchtlinge auf. Fesche Mädels in Dirndlkleidern und Ringelstrümpfen besingen die Idylle einer mittlerweile vom (Narzissen)Tourismus geschwängerten Naturlandschaft. Und das einfache Volk tut, was ihm am nächsten liegt: Nicht dafür und nicht dagegen zu sein, wie es sich für anständige Menschen gehört. Ihre Haltung ist die Ausrede, ihre charakteristische Fortbewegungsart der Rückzug.

Franzobel ist ein Menschenkenner im Wolfspelz, ein Komödiant auf drei Beinen, ein Wortsauger, bei dem Kindisches und Traumhaftes nicht zu kurz kommen. Regisseur Georg Schmiedleitner ist ihm bei Hirschen ein kongenialer Vollstrecker, der Franzobels Sprachmaterial ein konterkarierendes Setting bietet, das der deftigen Hirschen-Botschaft gerecht wird: Wenn der Österreicher Farbe bekennen soll, wird er meistens bleich.

Ein Großteil der Grazer Hausbelegschaft war aufgeboten und bot einen irrwitzigen Querschnitt durch Österreichs Seelenlandschaft. Grandios Daniel Doujenis als Rebell Plieseis, Julia Cencig als angehurte Widerstandskämpferin und Ernst Prassel als Jäger Mitterndorfer, der nichts weiß, nichts sieht und nichts gehört hat.

Dass Theater in seinen größten Augenblicken Entdeckungsreisen gleicht, deren Neuland dem allgemeinen Geschmack nicht entspricht, könnte man eigentlich wissen, und doch gibt sich die Öffentlichkeit immer wieder empört, wenn sie im Werk bekannter Zeitgenossen das Unzuträgliche, das gegenwärtig Unheimliche entdeckt. Dieser zweistündige Theaterabend jedoch endete ohne jegliche Empörung. Das Publikum applaudierte, Bravorufe heizten die begeisterte Stimmung an. Das kann nichts Gutes bedeuten. Denn das Unheimliche war da. Farblose Überläufer im Publikum wohl auch.

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