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Für den "kleinen Mann", die "kleinen Leute" wollen die Politiker aller Couleurs etwas tun, ihr Anwalt wollen sie sein. - Das erschreckt mich, denn Wort und Sache kommen vom Begriff "Kleinbürger", und der wird heute eindeutig verwendet: "Kleinbürger" sind (zum Beispiel nach Hans Schillings 2003 erschienen Buch Kleinbürger. Mentalität und Lebensstil) Leute, die ein auf Wahrung privater Besitzinteressen gerichtetes neidiges Bewusstsein haben, soziale Reformen und Intelligenz fürchten und Vorurteilen folgen, zum Beispiel im Umgang mit Ausländern.

José Ortega y Gasset beschreibt in seinem 1930 veröffentlichten Essay Der Aufstand der Massen den Charakter des "kleinen Mannes" als "Massenmensch", der "die Unverfrorenheit besitzt, für das Recht der Gewöhnlichkeit einzutreten und es überall durchzusetzen". In der Tagespolitik schaut es oft wirklich so aus, als ob dies der Bezugsrahmen wäre.

Ich möchte aber trotzdem daran glauben, dass es Politiker gut meinen, wenn sie "kleine Leute" sagen. Dass sie ihre Stimme für Menschen erheben, die aufgrund schlechter Bedingungen und mangelnder Fähigkeiten arm und ungebildet sind, keine sozialen Aufstiegschancen haben und deshalb der Solidarität und Förderung bedürfen. Die Armen also. So sagt's die Caritas. Aber dann sollten's die Politiker auch so sagen und nicht Menschen erniedrigen, indem sie sie "klein" nennen.

Allerdings müsste die Politik dann anders aussehen: statt eines Fremdengesetzes müsste es ein Gastfreundschaftsgesetz geben, statt Bildungsnot Bildungskreativität, statt Verwaltungsdominanz Gestaltungsunterstützung. Dann könnte man auch nicht mehr auf die Idee kommen, dass es die "kleinen Männer" selber sind, die oben sitzen.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Direktor der Joanneum Research Forschungsgesellschaft in Graz.

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