Potenziell terroristisch

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Wie eine bleierne Decke senkt sich die Angst vor dem Terrorismus über Europa. Während die Anschläge im Irak in unseren Vorstellungen weit weit weg sind - hundert Tote vor einer Moschee irgendwo am Euphrat, was sagt uns das schon -, erscheint der Schauplatz Londoner u-Bahn ganz nah: Jeder war schon dort, und wenn nicht, dann könnte er dort gewesen sein. Empathie ist leichter aufzubringen, wenn man sich selbst - oder eine nahestehende Person - in die Situation hineindenken kann.

Terrorismus ist natürlich auch in Europa nicht neu, und schon gar nicht auf den britischen Inseln, wo er jahrzehntelang Teil der Austragung des historischen Konflikts zwischen Katholiken und Protestanten war, oder besser "eines" Konflikts zwischen Katholiken und Protestanten in einer ganz bestimmten, unglücklichen Konstellation. Diese Art von Terrorismus kann man, auch wenn er mitten in Europa stattfindet wie zum Beispiel der baskische, gut abgrenzen, ausgrenzen aus dem eigenen Denken; terroristischer Overspill in andere geografische Räume ist die Ausnahme, nicht die Regel. New York, Madrid, London, das scheint hingegen Teil eines "Weltkrieges" zu sein, wobei es jedoch, anders als bei einem echten Krieg, keine klaren Fronten gibt.

Genau darin liegt die große Gefahr: Dass wir uns diese Fronten selbst definieren. Je nach Verfasstheit werden sie dann weiter oder enger verlaufen, vor allem das gefährliche Wort "potenziell" - in "potenzieller Terrorist" - wird von jedem anders angewandt werden. Oder vielleicht sogar die Nachbarin mit Kopftuch von nebenan einschließen. Ein schrecklicher Sieg für die echten Terroristen, die genau das wollen: in einer zusammenwachsenden Welt, die ihnen Angst macht, die Menschen auseinanderzudividieren.

Die Autorin ist Außenpolitik-Ressortleiterin des "Standard".

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