Lastschrift der HOFFNUNG

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Alexis Tsipras hat die Wahlen in Griechenland gewonnen und ist der neue Held der Linken. Aber hat das Modell "radikal" auch Zukunft?

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Alexis Tsipras hat die Wahlen in Griechenland gewonnen und ist der neue Held der Linken. Aber hat das Modell "radikal" auch Zukunft?

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Wie schnell doch aus einem Gemiedenen ein Star wird. Als Alexis Tsipras im September 2013 im Wiener Bruno-Kreisky-Forum zu einem politischen Dialog mit der österreichischen Sozialdemokratie antreten wollte, war er schlicht alleingelassen worden. Der damalige Finanzstaatssekretär Andreas Schieder ließ sich krankheitsbedingt entschuldigen, und auch sonst wollte sich niemand finden, mit dem Chef der griechischen Linksradikalen aufzutreten.

Am vergangenen Montag hingegen jagte ein Glückwunsch nach Athen den nächsten. Da hatte Alexis Tsipras mit seiner SYRIZA-Partei gerade die Wahlen gewonnen. Auch der Bundeskanzler schien Feuer und Flamme. Werner Faymann textete seine Begeisterung gleich via Facebook: "Ich gratuliere Alexis Tsipras zum heutigen Wahlerfolg und bin überzeugt, dass wir in ihm einen Verbündeten im Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Armut in Europa finden werden." Die SYRIZA-begeisterte KPÖ dachte gleich an Vervielfältigung: "Schaffen wir zwei, drei, viele SY-RIZAS". Und KP-Bundessprecher Mirko Messner freute sich "wie schon lange nicht mehr".

Da überwog noch die Bewunderung über den Sieg der Linken und die feiernden Massen auf Athens Straßen, und die Idee, dass die Visionen des SYRIZA-Frontmanns aus dem Wahlkampf Wirklichkeit werden könnten: "Am 25. Jänner wird das demokratische Europa an Griechenland anknüpfen. An uns anknüpfen wird die gesellschaftliche Mehrheit. Die sich bewusst ist, dass Europa nicht von der Linken gefährdet wird, sondern von der Politik von Frau Merkel. Vom Neoliberalismus und seinen Folgen. Am 25. Jänner findet die notwendige Wende in Europa hier in Griechenland ihren Anfang."

Das klang ganz so hoffnungsschwanger wie bei dem Wahlsieg des französischen Sozialisten François Hollande 2010. Aber noch schneller als beim französischen Vorgänger zeigte sich in Greichenland schon am Tag nach der Wahl Ernüchterung. Wenn Tsipras Fans angenommen hatten, eine Schuldenlast von insgesamt 500 Milliarden Euro sei durch eine einfache Mitteilung des Schuldners an seine Gläubiger wegzuwischen, wurde nun von der Realität eingeholt.

Der teure Lunch

Der Londoner Guardian formulierte es mit britischer Trockenheit: "There ain't no such thing as a free lunch". Für die Pläne von Alexis Tsipras und die Träume der Griechen wird das eine, wie der Chef des österreichischen Fiskalrates Bernhard Felderer es formuliert "große Enttäuschung" werden: Denn geht es nach den großen EU-Nationen, der EU-Kommission und der EZB, kommt weder die Wiedereinstellung von tausenden Beamten, noch eine Bürgschaft für griechische Sparer noch eine Neuverhandlung des griechischen Schuldendienstes oder ein "Erlass des größten Teils des Schuldenberges", in Frage.

Aber muss man darüber in Hohngelächter ausbrechen? Wohl kaum. Griechenland bleibt mit oder ohne seine vulgärnationalen, illusionsbeladenen Regierungspolitiker ein Ort des wirtschaftlichen Grauens - und zahlreiche Ökonomen machen dafür jene Politik verantwortlich, die das Land eigentlich sanieren sollte. Die Radikalität der Einschnitte und ihre sozialen Folgen, Arbeitslosigkeit, Depression, Armut haben die radikalen Linken erst stark gemacht und nicht wenige fragen heute:

Was wäre Alexis Tsipras heute ohne die Politik seiner Lieblingsfeindin Angela Merkel?

Aber der Erfolg der SYRIZA setzt auch die etablierten Linken wie die französischen oder die spanischen Sozialisten unter Druck. Der Publizist Werner A. Perger analysiert den großen Nachteil der Etablierten: "Das Original des aktuellen nationalen Populismus in den EU-Staaten, rechts wie links, ist von keiner Kopie zu schlagen. Im Werben mit Ankündigungen im Nebel aus unverbindlichen Versprechungen und glatten Lügen sind die Originale (SYRIZA, Podemos, Front National) besser. Volksparteien aber, besonders die von Mitte-links, werden, wenn sie regieren, für ihre Wahlversprechen umso strenger beim Wort genommen. Und dann wehe ihnen!"

Das Elend der Gewerkschaften

Die Gefahr für die etablierten politischen Bewegungen scheint dabei nicht einmal so sehr in den Inhalten und politischen Persönlichkeiten der Radikalen zu liegen. Vielmehr brechen ihnen alte Verbündete weg, die ihnen in der Vergangenheit Millionen Wähler gebracht haben. Das gilt insbesondere für die Gewerkschaften, die - etwa in Griechenland und Spanien - aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit den Sparkurs ihrer jeweiligen Regierungen nicht mittragen können oder wollen. Sie sympathisieren leichterhand mit Radikalen oder werden gleich selbst Teil davon. Das gilt vor allem für unabhängige Gewerkschaften, wie den Metallergewerkschafter Fian in Italien oder den italienischen Gewerkschafts-Dachverband CGIL, in Griechenland für die Großgewerkschaften GSEE und ADEDY und weite Teile der Beamtengewerkschaften, in Spanien für die führenden Arbeitnehmervertretungen UGT und CCOO, die mit den radikalen Linken von Pablo Iglesias' "Podemos"- Bewegung gegen den Sparkurs auf die Straße gehen und die Mehrheit der Wähler hinter sich wissen.

Die austauschbaren Extreme

Doch die Aufregung um den scheinbaren Aufschwung der radikalen Linken macht auch leicht vergessen, dass es den Wählern egal zu sein scheint, ob hinter dem Wörtchen "extrem" rechts oder links steht, solange die Politik nach Aufstand klingt. Deshalb ist es nicht unlogisch, dass selbst die Chefin des Front National, Marine Le Pen, dem linken Tsipras durch die Blume gratulierte und sich über ein Votum der Griechen freute - als "eine klare Absage an die EU und die Herrschaft der volksfernen Eliten". Auch in Österreich ergötzte sich die FPÖ teilweise über den Sieg der radikalen Linken. Der Europaabgeordnete Harald Vilimsky etwa versteht, dass "die Griechen ihre bisherige Regierung in den politischen Orkus gewählt haben." Und auch außenpolitisch gibt es zwischen den radikalen augenfällige Übereinstimmungen - etwa in der Kritik an der NATO und in der Unterstützung Wladimir Putins.

Als Zeichen einer neuen lagerübergreifenden Freundschaft der Radikalen kann daher auch gelten, dass Alexis Tsipras mit der ultranationalen Gruppierung "Unabhängige Griechen" seine Regierung bildet. Mit dem Chef der "Unabhängigen" Panos Kammenos unterhält Tsipras seit Jahren gute Kontakte. Kammenos warf Angela Merkel vor, sie wolle ein "Viertes Reich" schaffen, er rief zu Lynchjustiz gegen einen griechischen Bürgermeister auf und glänzt mit Antisemitismus: "Die Juden zahlen keine Steuern."

Auf der anderen Seite des ökonomischen Spektrums zeigt sich aber auch eine stattliche Gegenbewegung zu "mehr Staat, weniger Kapitalismus" - vor allem in Großbritannien. Das "Office for Budget Responsibility", ein unabhängiges Institut für die Kontrolle der britischen Staatsfinanzen, hat zuletzt einen Bericht veröffentlicht, wonach im Jahr 2020 verglichen mit 2010 die Budgetausgaben der Regierung pro Kopf um 30 Prozent gefallen sein werden. In einigen Bereichen wie der Justiz und den Kommunalverwaltungen werden die Einsparungen noch dramatischer ausfallen. Was zu Zeiten einer Margaret Thatcher unter großem Trara als "mehr privat, weniger Staat" öffentlich deklariert wurde, bricht sich nun über die Hintertür und debattenlos die Bahn. Der britische Premier David Cameron

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