Nordkoreas Angst vor dem Wandel

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Gesten des guten Willens wechseln mit kriegerischer Aggression. Nordkoreas Verhältnis zu seinen südkoreanischen Brüdern ist stark von Angst vor der Veränderung geprägt.

Seit bald 60 Jahren gibt es einen Waffenstillstand ohne Frieden, noch immer gilt die innerkoreanische Grenze als gefährlichster militärischer Hotspot der Welt. Doch der Grenzort Panmunjom, wo 1953 der Waffenstillstand unterzeichnet wurde, ist auch in Nordkorea eine Touristenattraktion. In einem kleinen Museum sind Fotos und Dokumente ausgestellt.

In der berühmten blauen UN-Baracke genau über der Demarkationslinie wird mehrmals am Tag auch die Türe zum Norden geöffnet. Ein paar Schritte darf man in dem Gebäude sogar auf die andere Seite gehen. Grimmig blickende nordkoreanische Soldaten bewachen den Ausgang zum Süden, während ein Informationsoffizier Pjöngjangs Sicht der Geschichte erklärt. Es fällt auf, dass sich die nordkoreanische Rhetorik gemäßigt hat. Propagandistische Spitzen gegen Seoul sind selten geworden, im Vordergrund stehen Argumente für eine rasche Wiedervereinigung. Doch es sind nicht wirklich Signale der Entspannung, Pjöngjang fährt eine Doppelstrategie: Gesten des guten Willens wechseln mit neuen Atomtests und offen kriegerischen Akten, wie der Versenkung eines südkoreanischen Schnellbootes oder dem Artilleriebeschuss der Insel Yeonpyeong im Vorjahr.

Das Katz- und-Maus-Spiel

Doch wenn Nordkorea wieder Lebensmittel- oder Treibstoffhilfe benötigt oder vonseiten der Wiener Atombehörde neue Sanktionen drohen, erklärt es rasch seine "Bereitschaft“, die stockenden Sechs-Parteien-Gespräche in Peking (mit Südkorea, China, Japan, Russland und den USA) fortzusetzen, oder es lädt Politiker aus dem Süden zu Gesprächen über Familienzusammenführung ein, ohne dass sich in der Sache selbst irgendetwas bewegt.

Seit vielen Jahren betreibt Nordkorea erfolgreich dieses Katz- und-Maus-Spiel, und die anderen Beteiligten machen aus unterschiedlichen Motiven heraus mit, niemand scheint an einem allzu abrupten Wandel im Norden interessiert.

Südkorea fürchtet bei einem plötzlichen Zusammenbruch des Regimes den Druck zu einer raschen Wiedervereinigung und damit eine kaum bewältigbare wirtschaftliche Last. Die deutsche Vereinigung dient als Warnung. Dabei hatte die DDR nur ein Viertel der Einwohnerzahl des Westens und ein Drittel des Pro-Kopf-Einkommens, während die ökonomische Kluft zwischen Nord- und Südkorea (Wirtschaftsleistung pro Einwohner) heute auf 1:17 geschätzt wird!

Peking präsentiert sich seit vielen Jahren als "Vermittler“, der Pjöngjang zu Wirtschaftsreformen und einem Verzicht auf atomare Rüstung Bewegung möchte. Nur - leider, leider, seufzen chinesische Politiker und Politologen - würde Nordkorea nicht auf seinen großen Nachbarn hören. Das ist nur ein Teil der Wahrheit, denn wie kein anderer könnte Peking sehr wohl Druck ausüben, Treibstoff, militärische Ausrüstung oder Technologien zur Rohstoffförderung verweigern. Tut es aber nicht, denn China verfolgt vor allem seine eigenen Interessen.

So will Peking ein vereinigtes Korea unter US-Einfluss unter allen Umständen vermeiden. Umgekehrt bieten die Nöte Nordkoreas viel Gelegenheit, selbst einen Fußhalt in dem Land zu bekommen. China beutet heute in gepachteten Bergwerken Rohstoffe zu seinem eigenen Vorteil aus, und es sieht Nordkorea als Teil seiner strategischen Einflusssphäre, egal welches Regime dort herrscht - so wie es die USA in anderen Weltgegenden auch tun.

Von Pekings Reformkurs haben sich die nordkoreanischen Führer bisher jedenfalls nicht beeindruckt gezeigt, auch nicht Kim Jong-il bei seinem jüngsten Staatsbesuch Ende Mai, als ihn die chinesischen Gastgeber von einer Hightech-Anlage zum nächsten marktwirtschaftlichen Musterprojekt schleppten. Doch Peking hält das Regime in Nordkorea am Leben, und es hat offenbar auch eine zukünftige Hofübergabe von Kim Jong-il an seinen 28-jährigen Sohn Kim Jong-un abgesegnet.

Zu Südkorea ist die alte Demarkationslinie ein klein wenig durchlässiger geworden. In der Wirtschaftszone Kaesong, gleich nördlich der Grenze, lassen Firmen aus dem Süden billig produzieren. Auch in anderen Städten gibt es "Joint Ventures“, die dem Norden Devisen und technisches Know-how bringen, aber unweigerlich auch persönliche Kontakte erzeugen.

Ein anderes Prestigeprojekt zwischen Nord und Süd, die Tourismuszone im Diamantengebirge (Kumgangsan) im Osten der Halbinsel, ist wieder geschlossen. Über eine Million Südkoreaner durften zwischen 1998 und 2008 hier ihren Fuß auf nordkoreanisches Territorium setzen. Der Hyundai-Konzern, dessen verstorbener Gründer eine persönliche Beziehung zum einstigen Großen Führer Kim Il-sung pflegte, hatte Millionen in Hotels, Zufahrtsstraßen und sogar Sozialprojekte für die örtliche Bevölkerung investiert, in der vagen Hoffnung, damit eine Wiedervereinigung zu erkaufen.

Doch 2008 haben nordkoreanische Wachsoldaten eine verirrte Touristin aus dem Süden erschossen, worauf die weniger kompromissbereite neue Regierung in Seoul die Reisen kurzerhand verbot. Die einstige "Sonnenschein-Politik“, bei der Südkorea mit einseitigem Goodwill auf den Norden einwirken wollte, war gescheitert.

Doch die internationale Isolation Nordkoreas weicht langsam auf. Unter dem Druck zur Devisenbeschaffung hat sich der Norden einem kontrollierten Gruppentourismus geöffnet. Die meisten Besucher kommen aus China, immer mehr auch aus Japan und Westeuropa. Über China gelangen ausländische Konsumgüter ins Land, und wer das nötige Bargeld hat - und davon scheint es nicht wenige zu geben in Nordkorea - kann sie auf den zugelassenen Märkten und in staatlichen Geschäften erwerben.

Potemkinsche Geschäfte

Den Touristen führt man solche Geschäfte übrigens gerne als "normale Läden“ vor, sie zählen zu den zahlreichen potemkinschen Dörfern, die den wirtschaftlichen Fortschritt beweisen sollen. Man verschweigt dabei, dass in den Spezialgeschäften ein Kilo Fleisch oder ein Synthetik-Kleid aus China einen gängigen Monatslohn kosten, während Nahrungsmittel und Industriewaren sonst streng rationiert sind. Andere Veränderungen sind durchaus real. Die graue und beige Einheitskleidung ist insbesondere bei den Frauen einem bunten Modebewusstsein gewichen. Ganz besonders bei der Schuhmode zeigen sie Individualität, wobei die importierten Trends aus China (und damit indirekt aus Japan und Südkorea!) unverkennbar sind.

Der wichtigste Eindruck einer Nordkorea-Reise ist wohl, dass es einen Alltag jenseits der hohen Politik gibt, Menschen, die ins Restaurant gehen, Wanderausflüge unternehmen oder zum Baden ans Meer fahren; aber auch die Mühen des täglichen Lebens, weil etwa viel zu wenige öffentliche Verkehrsmittel funktionieren oder aufgrund des Energiemangels in den Wohnungen nur eine einzige 40-Watt-Glühbirne brennen darf.

Wenn man zugleich die öffentliche Verschwendung für Prestigeobjekte und die monumentalen Inszenierungen des Personenkults bemerkt, die Privilegien der Militärs und politischen Eliten, und auch mitdenkt, was man als Tourist nicht zu sehen bekommt, wie die wiederkehrenden Hungersnöte oder die unmenschlichen Straflager, von denen Flüchtlinge berichten, dann spürt man, dass ein politischer Wandel, wenn der Tag einmal kommt, sehr heftig und gewalttätig ausfallen könnte.

Realität

Angesichts der Unterschiede zwischen Privilegierten und der zum Teil hungernden und unterdrückten Bevölkerung spürt man, dass der politische Wandel sehr heftig ausfallen könnte.

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