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Wählt!

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Wahlen in demokratischen Staaten sind Entscheidungen über die politische Macht, um den politischen Führungsanspruch. Ueberall würden die Parteien an die Wähler appellieren, ihnen durch die Wahlentscheidung das Mandat zur alleinigen Ausübung der Macht im Staate zu geben. Nicht so in Oesterreich. Keine der beiden großen Parteien erklärt, sie wolle die Mehrheit, um allein regieren zu können. Jede aber beschuldigt die andere, nach dieser Alleinherrschaft zu streben. So wurde dieser Wahlkampf mit konservativen Parolen und daher begreiflicherweise mit konservativen Mitteln geführt. Keine Experimente, lautet die Parole — auf beiden Seiten. Jeder ist für die Entfaltung der freien Persönlichkeit, für die Sicherung der Währung, für die Fortdauer der Vollbeschäftigung, für die Hebung des Lebensstandards, für weiteren Wohlstand, jeder auch für die Fortsetzung der Koalition, und beide Parteien rechnen im Grund auch mit keinen umwälzenden Aenderungen durch die Wahl. Wozu dann überhaupt; Wahlen? Ist das Ganze wirklich nur ein Wahltheater, wie . die Oppositionsparteien, die Freiheitlichen und Kommunisten, behaupten?

Die Gefahr einer solchen Argumentation ist nicht zu unterschätzen. Nicht daß sie sich in einer massierten Wahlenthaltung äußern könnte — der Oesterreicher wählt gern, wenn auch nicht gerade gern die Partei, die er wäHt —, so kann sie doch zu einer Relativierung aller Wertbegriffe führen, zu der der Oesterreicher ohnehin neigt, zu einem Verwaschen und Verschleiern der Gegensätze, zu einer Abwertung Mißachtung und schließlich Verachtung der Einrichtungen und Formen der Demokratie. Hinter den so ähnlich klingenden Wahlslogans, hinter der so oft peinlich wirkenden Gleichförmigkeit der Argumentation stehen sehr wohl tiefgreifende Wesensunterschiede der beiden Parteien. Es ist gerade die Aufgabe einer parteiunabhängigen und im besonderen einer katholischen Presse, auf diese Unterschiede hinzuweisen.

Diese unterschiedlichen Auffassungen scheiden sich nicht nur in den Fragen der Wirtschaft, sie beeinflussen das gesellschaftliche Leben, sie rühren tief auch an das’ Leben des einzelnen Menschen. Wie können die Probleme der Gegenwart gemeistert werden, wie kann die Synthese der beiden großen Aufgaben der Men-’hheit von heute, die Synthese von Freiheit und Sicherheit gefunden werden, wie die Kräfte des einzelnen und der Gemeinschaft so weit gestärkt werden, daß sie fähig sind, allen Drohungen und Lockungen des Kommunismus zu widerstehen? Das ist die Frage, vor der die wt lliche Welt steht. Das ist die Frage, um die es auch in Oesterreich geht, die Frage, die auch bei dieser Wahl zur Entscheidung steht! Nur dadurch, sagt die Volkspartei, daß die Autonomie der Einzelpersönlichkeit weitgehend wiederhergestellt wird, durch die wirtschaftliche Stärkung des einzelnen, durch die Zurück- drängung des staatlichen Einflusses, durch den Appell an die Eigenverantwortlichkeit und die Eigeninitiative des einzelnen. Nur dadurch, sagen die Sozialisten, daß die Kräfte des Volkes zutammengefaßt werden, durch die Stärkung der Gemeinschaft, durch die Zurückdrängung des wirtschaftlichen Egoismus, durch planvollen Einsatz der gemeinsamen Kräfte für die gemeinsamen Aufgaben. Diese unterschiedliche Auffassung stammt nicht von gestern und nicht von heute. Sie war immer da. Und auch die Wahlentscheidung wird sie nicht aufheben. Sie werden sich zu einer Synthese, zu einem gemeinsamen Weg finden müssen.

Mit einer Vehemenz, wie sie die Zweite Republik noch nicht gesehen hat, wurden in diesem Wahlkampf die Katholiken als Katholiken umworben. Einem Aufruf der Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände, in dem unter Hinweis auf das neue Parteiprogramm der SPOe und das Verhalten dieser Partei gegenüber den katholischen Forderungen festgestellt wurde, daß kein Katholik sozialistisch wählen könne, antwortete eine Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Katholiken, die, ebenfalls unter Zitierung des neuen Parteiprogramms und Hinweis auf die entgegenkommende Haltung der Sozialistischen Partei gegenüber den Ansprüchen der Kirche, die Katholiken auffordert, die Sozialistische Partei zu wählen. Man könnte, wenn man dieser heftigen Kampagne etwas Positives abgewinnen will, meinen, es sei immerhin noch besser, die Katholiken werden umworben als ignoriert, wenn dabei nicht so manches Porzellan zerschlagen worden wäre, für das uns vielleicht noch einmal die Rechnung präsentiert wird.

Das heißt nicht, daß die Katholiken politisch neutralisiert werden sollen. Die Katholiken haben als Staatsbürger nicht nur ihr politisches, wirtschaftliches und soziales Interesse zu wahren, sie haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, auch das Wohl der Kirche bei ihrer Wahlentscheidung zu beachten. Dies bedeutet des weiteren auch nicht eine Neutralisierung der Kirche als solcher, ihr völliges politisches Desinteressement. Die Kirche hat sehr wohl ein Interesse daran, wie die politischen Organe des Staates zusammengesetzt sind, mit denen sie es als Institution zu tun hat, sie hat sehr wohl ein Interesse daran, daß die politischen Faktoren den Staat so gestalten, daß die Freiheit ihres Wirkens gesichert bleibt.

Die Kirche, die österreichischen Bischöfe haben bei dieser Wahl ein klares Wort gesprochen. Die österreichischen Bischöfe haben sich in ihrer Erklärung an alle gewandt, wo immer sie stehen. Sie haben an die Katholiken des Landes appelliert, bei den Wahlen ihre staatsbürgerliche Pflicht zu erfüllen. Sie haben die verantwortlichen Politiker gemahnt, den Wahlkampf in fairer Form zu führen und die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zum Wohl des ganzen Volkes unterstrichen. Und sie haben die Katholiken aufgefordert, so zu wählen, daß die Forderungen der Kirche in Ehe und Schule und die Anliegen, wie sie im Weißbuch und Sozialhirtenbrief niedergelegt sind, ihre endgültige Erfüllung finden. Diese Erfüllung aber können sie, wie immer auch die Wahlen ausgehen, nur in der Zusammenarbeit der beiden Regierungsparteien finden. Kulturpolitik, so sagte Minister Drimmel einmal an dieser Stelle, kann in Oesterreich nur in der Zusammenarbeit der beiden großen Parteien gemacht werden. Bei wirtschaftlichen Fragen sei eine Lösung außerhalb der Koalition in freier Parlamentsentscheidung möglich, bei der Kulturpolitik nicht. Daher erwarten die Katholiken, daß gerade diese Fragen in einer kommenden Koalitionsvereinbarung Eingang finden mögen.

ln wenigen Tagen werden die Plakate wieder überklebt, die Flugblätter wieder zusammengekehrt, die Zeitungen wieder lesbarer und der Rundfunk wieder hörbarer sein. Die „Furche” hat seit ihrem Bestehen immer das Wohl von Kirche und Volk vor die Partei gestellt. In der Erklärung der österreichischen Bischöfe zu dieser Wahl findet sie eine Bestätigung dieser seit 1945 geübten Haltung. Sie ist der Meinung, daß der politische Sinn der österreichischen Katholiken so wach ist, daß sie einer solchen Empfehlung nicht bedürfen.. Die „Furche” will es sich auch versagen, Wahlprognosen zu geben. Sie sah lediglich, was alle sahen: Das wiedergewonnene Selbstvertrauen der Volkspartei kontrastierte stark mit der wenig zielsicheren, antiquierten Wahlwerbung der Sozialisten. Von einem neuen Geist war in der Propaganda wenig zu spüren. In einem mit konservativen Parolen geführten Wahlkampf scheint also die konservative Partei größere Chancen zu haben.

So wichtig die Entscheidung dieser Wahl sein wird, noch wichtiger ist es, über der Wahl das Nachher nicht zu vergessen.

Die Zusammenarbeit hat in diesem Blatt, das sich gerade als katholische Wochenschrift dem Gemeinsamen immer mehr verpflichtet fühlte als dem Trennenden, jederzeit einen Anwalt gefunden, Wie immer es geht, wie schwierig es auch sein mag, wir müssen uns finden. Wahlen stecken die politischen Fluren neu ab, aber über diese Fluren muß wieder der Pflug gehen, damit unser gemeinsames Brot dort wachse und reife.

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