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Das Geheimnis der Sieben

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Aber die Kikuyu, nun seit mehr als zwei Generationen an Polizeiordnung gewohnt, brauchten mehr als bloß aufmunternde Worte. Sie brauchten dazu einen ganz besonderen Ritus, der einen Burschen zum Krieger und einen Krieger zum Anführer machen konnte. Der „Brennende Speer“ suchte in den alten Volksüberlieferungen. Da fand er, was er brauchte — die Idee des „Siebenfachen Eides“.

Sieben — die Zahl der Oef fnungen am menschlichen Leib — ist ein altes Symbol für bösen Zauber. Ein Zweig mit sieben Aesten, eine Schnur mit sieben Knoten oder sieben Kieselsteine sagen einem Kikuyu gar viel. Solche Symbole begannen in den außenliegenden Bezirken zu zirkulieren. Und das waren Befehle. Wer einen solchen Befehl mißachtete, fand eine erwürgte Wildkatze oder ein Huhn mit abgerissenem Kopf an seine Haustür genagelt. Der nächste Schritt war nicht mehr Drohung, sondern Tod. Zuerst waren es Dutzende, dann Hunderte und immer mehr, an die tausende Kikuyus, die Nacht für Nacht den „Siebenfachen Eid“ schworen.

Der „Brennende Speer“ hatte während seines Aufenthaltes in Moskau die Fehler der Hitler-Mussolini-Technik • kennengelernt. Anstatt in aller Öffentlichkeit zu agitieren, ging er in Untergrund. Er hielt keine Reden an den Straßenecken, er organisierte Zusammenkünfte in den tiefsten Verstecken der Wälder und in der Steppe. Und dort redete er: „Der Weiße kleidet euch in Weiberröcke!“ — damit meinte er die knöchellangen gegürteten Hemden, die für Hausdiener und Kellner allgemein in Gebrauch sind —, „alle Arbeiten habt ihr zu leisten. Früher mußten nur die Frauen arbeiten. Seid ihr eigentlich Weiber? Der Weiße nennt sich ,Mister“ und ,Sir' und ,Lord' — wie ruft er dich? Boy! Nicht einmal einen Namen hast du mehr. Du bist der Booooy', ob du nun ein Mann bist oder ein kleiner Bub. Ihr seid doch Kikuyu gewesen, Krieger, Eigentümer prächtiger Viehherden und weiter Ländereien. Und heute? Ihr habt keine Viehherden mehr, kein eigenes Land mehr, ihr seid keine Krieger mehr, überhaupt keine Kikuyu mehr! Was ist denn aus euch geworden? Weiber und Buben seid ihr!“

Der „Brennende Speer“ wußte genau, wann er sprechen durfte und zu wem: zu der verlorenen Generation von Kikuyu-Jungmännern, eben heimgekehrt vom Kriegsdienst außer Landes, nicht mehr gewillt, für Schundlöhne zu fronen, ohne eine Zukunft vor sich sehend, obwohl voll Ehrgeiz und Unternehmungslust, doch ohne jede Hoffnung.

Der „Brennende Speer“ spielte mit Dynamit.

Im Juni, Juli und August des vergangenen Jahres wurde eine Anzahl Kikuyus ermordet. Im September wurden auf einer Europäerfarm 184 prämiierte Kühe abgeschlachtet. In der gleichen Nacht brannten Speicher und Futtervorräte. Ein bekanntes Poloklubhaus wurde überfallen, vier Europäer ermordet. Kurz darauf der Großhäuptling Warihiu, der angesehenste Kikuyu, umgebracht.

Das Mau-Mau-Kriegshorn hatte gerufen. Das Flüstern war zum Schrei geworden und schwoll an zu unheilvollem Sturm: Fort mit allen Weißen!

„Vergangenen Oktober hat die Regierung den Ausnahmezustand verhängt“, sagte Kommissär O'Rorke, „und bei der ersten Massenverhaftung ergriffen wir Kenyatta und 108 andere Rädelsführer. Für die Verhafteten selbst war es die größte Ueberraschung. Aber wir haben doch auch unser System. Haupt und Rumpf der Mau-Mau-Bewegung sind

hinter Schloß und Riegel. Nun müssen wir aber auch noch Hände und Füße erwischen.“

„Die Lage ist furchtbar“, sagte Hon. E. A. Vasey, Kenyas Finanzmann, ein ehemaliger Kaufmann, jetzt in Regierungsdiensten und einer der aufgeschlossensten Beamten. „Die Kikuyu versuchen jetzt, in einem Zeitalter der alles beherrschenden Geldwirtschaft, an der

Schwelle des 21. Jahrhunderts, zu einem Hirtenleben zurückzukehren, wie es vor hundert Jahren war. Kenya ist ohne Zweifel eines der reichsten Länder der Erde. Wir stehen kaum am Anfang der Entwicklung. Schauen Sie sich Zahlen an. Das diesjährige Budget beläuft sich auf 45 Millionen Dollar. Drei Millionen geben wir aus für Erziehung der Eingeborenen, zwei Millionen für deren Wohnungsbau. Wir brauchen dringend Fensterscheiben, elektrisches Licht und gute Schulen. Und Englisch als gemeinsame Sprache. Die Hälfte aller Schwierigkeiten kommt davon, weil wir einander nicht verstehen. Sicher ist, daß die Eingeborenen mehr Anteil am Profit des Landes haben sollten. Wenn sie klug sind, versuchen sie das auf gesetzlichem Weg zu erreichen. Mau-Mau? Bevor ich auf Urlaub fuhr, hatte ich nichts davon gehört. Zurückgekehrt, finde ich dies grauenhafte Durcheinander.“

Zur Zeit sitzt Jomo Kenyatta im „Königin-Elizabeth-Klub“ (der Spitzname für dieKenya-gefängnisse). Er hat sieben Jahre bekommen. Er wurde wegen einer Einzelheit verurteilt, wegen „Anstiftung zu Gewalttaten“, nicht wegen der vorgefallenen Morde und Verstümmelungen, Brandschatzungen und Zerstörungen. Einige seiner Offiziere sind mit ihm eingesperrt, zusammen mit noch etwa 10.000 anderen Kikuyu. Weitere 10.000 sind hinter, Stacheldraht und immer mehr gesellen sich zu ihnen. Aber Mau-Mau geht weiter, hartnäckig, wird immer ärger.

Den Hauptstraßen entlang sind alle Eingeborenensiedlungen zum Bersten überfüllt mit loyalen Flüchtlingen, die unter allen Umstän-

den in der Nähe der Pflanzungen bleiben wollen. Aber gerade diesen loyalen Menschen, die auf die Regierung vertrauen und friedfertig auf den Pflanzungen arbeiten wollen, geht es bitter schlecht. Wenn sie Arbeit finden und. wenn dann iKr Arbeitsplatz überfallen wird, werden sie ganz automatisch schon verdächtigt, weil sie eben Kikuyu sind. Wenn sie nicht arbeiten, verhungern sie, oder die Mau-Mau-Organisationen suchen sie heimlich auf. Wenn einer mit polizeilicher Erlaubnis anderswo eine Arbeit finden kann, so muß er seine ganze Familie mit sich nehmen, damit diese nicht während seiner Abwesenheit ermordet wird.

Was alle Weiße bedrückt und jeden mit seiner Familie direkt angeht, ist die angstvolle Frage, wie viele unschuldige Menschen noch hingeschlachtet werden müssen, bevor die Ruhe wiederhergestellt werden kann. Wie soll die Gesetzgebung aussehen, die alle Eingeborenen beruhigen und die weißen Siedler zufriedenstellen kann? Wer ist da unter den Kikuyu, mit dem man verhandeln und von dem man Auskunft bekommen könnte? Wird das Mau-Mau-Kriegshorn alles in Frage stellen ?...

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