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FRANZÖSISCH

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Manchmal höre ich abends Radio und wähle zwischen Stimme und Stimme, zwischen aktuell und nichtaktuell, zwischen Schlager und Wirtschaft (Orff, Carmina burana, leider nur ein paar Takte als Leitmotiv kommerzieller Gefühle). Meist wähle ich Schlager (diesen Vorhof der Poesie, die kleingeschriebene Poesie, den Anfang der Poesie, die erste Stufe dahin; von den jungen Mädchen so sehr bevorzugt, vielleicht nur deshalb, weil sie die ganze wirkliche Poesie eines guten modernen oder guten alten Gedichts noch nicht erkannt haben oder der Poesie eines herbstlichen Ahornblattes, das niederfällt, noch nicht begegnet sind oder der großen Poesie der vierten oder fünften Liebe noch nicht teilhaft geworden sind).

Wenn ich den Radioknopf drehe, denke ich meist in eingefahrenen Spuren: Erinnerungen (ein Vergißmeinnichtsträußehen an Alberts Brust; der sherif(verkleidete arme Knirps, Vollwaise und Zaungast vor dem üppigen Berghotel); der beinah drucklose Ablauf des Lebens; das Gefühl, ausgehöhlt zu sein; Selbstermahnungen. Die Stille nach dem Drehen des Knopfes mündet in die aktuellen Berichte: die Krise in Afrika; eine sachliche Stimme in deutscher Sprache, darnach eine andere Stimme in französisch: schön, genaue geometrische Gebilde; ein Springbrunnen der Gedanken (ich verstehe kein Wort); ich habe die Empfindung, das Bild dieser Rede vor mir zu sehen, wie man den Kopf eines Redners auf dem Fernsehschirm sehen kann: ich sehe die tiefe Wurzel eines Intellekts, Garben von wohlgeformten Worten und Sätzen hervorbringen, Fontänen von Kraft und Einsicht, von Zeit zu Zeit verebbend wie das Leben eines solchen Brunnens, aber zu neuen Ansätzen sich wiedererhebend; klar, wasserhell, durchdringend. Ich stehe wie gebannt vor dieser Stimme. Am nächsten Tag habe ich für einen Anfängerkurs im Institut francais inskribiert.

(Freilich, ich habe schon früher ein paarmal versucht, mich der französischen Sprache zu nähern. Aber meine Annäherungen blieben in einer maßlosen Verzückung stecken — ich konnte aus lauter Hingegebenheir nicht lernen — Madeleine est une petite fille, eile . . .)

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