Todesverachtung üben

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Egyd Gstättners Roman "Horror Vacui" ist eine politische Satire und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Leben, Tod und Unsterblichkeit.

Der Herzinfarkt ist ein ergiebiges Thema für die Literatur. "Mein Körper schien einem Spalt zu entweichen, den ein Rasiermesser in die Innenseite meines Herzens geschnitten hatte" - so beschreibt Michel Onfray, Propagandist des Hedonismus, den Infarkt, der ihn mit 28 heimgesucht hat. "Ich saß da im eiskalten Versagen meiner Existenz", resümiert Peter Nádas den Beinahe-Exitus in seinem Buch "Der eigene Tod". Egyd Gstättners neuer Roman beginnt mit dem Werk eines Autors, das "Mein Tod" heißt und seinerseits mit dem Satz beginnt: "Wenn der Leser an das Ende dieser schmerzlichen Geschichte gelangt sein wird, wird er mit mir sterben." Der am Ende der Geschichte stirbt, ist ein Autor namens Egyd Gstättner und also nicht jener, der am Anfang das Wort ergriffen und sich als Eugen Gorgasser vorgestellt hat. Dieser Gstättner erleidet 39-jährig in Salamanca einen Infarkt, von dem er recht großspurig berichtet: "Mein Herzinfarkt war eine Enttäuschung: Viel gelehrt hat er mich nicht. Was mich an den Vorkommnissen dieser Tage noch jetzt am meisten verblüfft, ist, daß ich, obwohl ich mein Leben lang praktisch ununterbrochen Todesangst leide, solang ich tatsächlich in Lebensgefahr war, keine Todesangst und nicht einmal eine wirkliche Todesahnung gehabt habe."

Sehr verwirrend

Das alles ist verwirrend. Auch ist es schließlich gar nicht so leicht, einen Ich-Erzähler sterben zu lassen: Dem Autor des Romans "Horror vacui" gelingt es gleich zweimal. Eugen Gorgasser entstammt nämlich der Feder der Romanfigur Egyd Gstättner und ist nach Spanien gereist, um dort die Plagiatsvorwürfe zu entkräften, die die Erben des Miguel de Unamuno (1864-1936) gegen ihn und sein Buch erhoben haben. Der große Denker und Dichter - den Gorgasser gar nicht kennt - habe einen Roman mit dem Titel "Wie man einen Roman schreibt" verfasst, dem Gorgassers Buch bis aufs Haar gleiche. Weil aber nun Gstättner, der Autor dieses Autors, vom "Amt der Habsburgenländischen Landesregierung (Kunstsektion)" ein Reisestipendium nicht bewilligt bekommt, beschließt er, sich zu rächen, indem er den Romanhelden Gorgasser schnöde sterben lässt und durch den Leiter der örtlichen Eurosparfiliale ersetzt. Nach Spanien gelangt Gstättner schließlich doch, weil er sich auf die Spuren seiner widerspenstigen Figur begibt.

Parte mit eigenem Namen

Es gehört für einen Schriftsteller einiger Mut dazu, in einem Roman eine Parte mit dem eigenen Namen abzudrucken. In "Horror vacui" finden sich gleich drei Todesanzeigen (auch Gorgassers Gattin Selma gilt es zu beklagen, wobei dem Autor der Kalender ein bisschen durcheinanderkommt). "Vulnerant omnes, ultima necat" steht darauf: Alle Stunden verwunden, die letzte tötet. So postmodern verspielt sich Gstättner (also: der richtige!) gibt, so geht es ihm doch ernsthaft um Variationen des Lebensthemas von Unamuno: Tod und Unsterblichkeit. Der gläubige Katholik zweifelte am Ewigen Leben - er zeugte neun Kinder und ein Werk von über 10.000 Seiten - und noch postum gelangten seine Bücher auf den kirchlichen Index. In Gstättners hiermit abgeschlossene Trilogie "Die Nichtstuer des Südens" fügt der Spanier als Verfasser eines "Lob des Müßiggangs" sich trefflich ein.

Von den "Nichtstuern des Südens" hat einmal der Kärntner Landeshauptmann gesprochen und er hat das nicht philosophisch gemeint. Aber auch wer das nicht weiß, wird "Horror vacui" als politische Satire lesen: Das Land heißt Habsburgenland, die Stadt heißt Neuschweinfurt und der Landeshauptmann Schweinberger. Zwischen der Tyrannei und einer Faschingsherrschaft liegen freilich Welten. Unamuno, der Rektor der Universität von Salamanca, verbrachte Jahre im französischen Exil und legte sich noch kurz vor seinem Tod mit Franco an. Unamunos "Evangelium der Opposition" und "Die Freiheit, die ich meine" prallen da komisch zusammen.

Mitreißend

Man könnte gegen Egyd Gstättners Buch einwenden, dass da ein Dutzend höchst temperamentvoller Pegasoi gleichzeitig in alle Richtungen losgaloppiert - und manch versprengtes Ross darunter ist. Aber die Verve seiner Suada hat etwas Mitreißendes. Und die wunderbar ironische, nichtsdestoweniger beunruhigende Schilderung des (Beinahe?-)Abgangs verknüpft alle Fäden auf das hintersinnigste: Der Herzinfarkt ereilt den Erzähler, als er gerade über Unamunos Herzinfarkt recherchiert - die perfekte Versenkung in den Gegenstand. "Wenn ich einen frühen Tod sterben will, dachte ich {...}, dann ist es jetzt ohnehin hoch an der Zeit": "ein toller Abgang für einen Schriftsteller, plötzlich, ungeheuerlich und schauerlich, {...} ein Popstartod, den mir zu Hause in Neuschweinfurt keiner zugetraut hätte." Michel Onfray kam nach seinem Infarkt zu dem Schluss, es käme weniger darauf an, den Tod zu zähmen, als ihn zu verachten. "Horror vacui" ist auch eine Einübung in die Todesverachtung.

Horror vacui - Die spanischen Dörfer des Don Miguel de Unamuno

Von Egyd Gstättner. Edition Atelier, Wien 2003. 255 Seiten, geb., e 20,-

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