6555002-1948_16_14.jpg
Digital In Arbeit

Eine Tendenz-Filmoper

Werbung
Werbung
Werbung

Mit dem Namen des Regisseurs Sergej Mihailowitsch Eisenstein sind Erfolge der sowjetischen Weltpropaganda von besonderer Vehemenz verknüpft: die Filme

„Panzerkreuzer Potjomkin", „Oktober" („Zehn Tage, die die Welt erschütterten“), in einigem Abstand „Streik", „Altes und Neues“. Die Geschichte des Films dankt ihm neue ästhetische Impulse hinsichtlich Rhythmus und Schnitt, in denen sich nicht nur ein einmaliges künstlerisches Temperament widerspiegelte, sondern auch ein neuer Stil ankündigte, der Schule gemacht hat. Eisensteins Tod am 21. Februar 1948 in Moskau. gab nunmehr Gelegenheit, im Rahmen einer Wiener Totenfeier sein vorletztes Werk „Alexander Newskij" (sein letztes Werk „Iwan der Schreckliche“ blieb unvollendet) unter dem Titel „Schlacht auf dem Eis" zu zeigen.

Der deutsche Titel ist zutreffender als der Originaltitel. Denn aus dem umfassenden Lebenswerk des Großfürsten Alexander Newskij (1220 bis 1263) ist einzig allein der schmale Sektor seines Sieges gegen die Deutschordensritter auf der blankgefrorenen Fläche des Peipussees am 5. April 1242 herausgeschnitten. Hier freilich offenbart sich Eisensteins ganzer Sinn für flutende Massenbewegung und Bilddramatik; die Annäherung der beiden feindlichen Heere ist von einer inneren Erregung und vibrierenden Angespanntheit, wie sie kaum vorher einem Kriegsfilm im historischen Kostüm gelungen ist. Eine Überraschung ist der Musikstil des Films. Prokofieff persönlich musiziert geradezu nummernweise nach der erst vor kurzem wieder in Wien gehörten Newskij-Kantate; neben den bukolischen Zwischenspielen und patriotischen Chören fehlt selbst das Altsolo „am Abend nach der Schlacht" nicht. So gerät das Werk nahe an die Erfüllung eines alten Traums: die Filmoper, die seit dem unvergeßlichen „Don Quichote“ mit Schaljapin rätselhaft verstummt ist.

Der Film ist im Jahre 1938 entstanden und verrät deutlich die Erwartung der drohenden deutschen Invasion. Aus dieser Grundstimmung ist wohl auch die einseitige Darstellung der Ordensritter zu erklären, aber'nicht nachzusehen. Die historisch erwiesene karitative, religiöse und kulturelle Wirksamkeit des Ordens ist hier in eine pangermanische Expansionspolitik modernster Prägung umgedeutet. Die Ordensritter sind ausschließlich gnadenlose Würger, die im Zeichen des Kreuzes Frauen und Greise metzeln und Kinder ins Feuer werfen

— Vorfälle, denen niemand das Wort reden wird, die aber doch, sofern sie vereinzelt historisch belegt sind, nicht so völlig wie hier aus Zeit und Umwelt herausgelöst werden dürfen. Die häufige Verwendung von christlichen Emblemen und Symbolen in Zusammenhang mit Grausamkeit, Feigheit und Verrat vollends verrät eine kirchenfeindliche Tendenz, die nicht unwidersprochen bleiben darf.

So fällt ein Schatten auf diesen ungewöhnlichen Film, auf die Totenfeier für einen Pionier der Filmkunst, auf das ganze Lebenswerk seines Schöpfers Und an seiner Bahre, an der sich die Banner des Fortschrittes der ganzen Welt senken sollten, neigen sich zutiefst nur die roten Fahnen.

Es schien ein weißer Rabe zu sein, als vor kurzem der „Kriminalkommissär Stu- der“ aus der Schweizer Meisterklasse Lindt- berg durch einen ruhigen, reifen Realismus an Stelle der schwülen Überreiztheit der entarteten Gattung des Kriminalfilms eine Wendung zu geben versuchte. Man weiß jetzt, da die Fortsetzung des Films, „Matto regiert“ (Matto = Wahnsinn), vorliegt, daß seine Schöpfer dabei nicht einer bloßen Laune folgten, sondern aus einer grundsätzlichen Geisteshaltung heraus Neues schufen. Es gibt also — dies ins Stammbuch der perfekten Mordspezialisten — Milieuspannung auch ohne Spelunken und professionelle Halunken, Dämonie ohne Perversion. Es gibt, sagt dieser Film, Flecken auf der Oberfläche des bürgerlichen Daseins, und hinter der biedersten Maske verbergen sich bisweilen Wahnsinn und Verbrechen, Der nunmehr schon populäre Kriminalbeamte Studer schaut mit nüchternem Blick dem Leben auf den Grund — und siehe, es ist auch da noch bewegt genug für einen interessanten, Verstand und Gemüt bewegenden Film. Quod fuit demonstrandum. Es brauchte einmal diesen Beweis, dem gewissen Stammpublikum zur Aufklärung, der „roten Mühle" von Hollywood, London und Paris zur nachdrücklichen Beachtung.

In den Erfolgsspuren der unverwüstlichen Bühnen- und Filmkomödie „Marguerite : 3“ wandelt der amerikanische Film „W i r alle liebten Susy“. Mit strahlender Ironie entfächert sich hier die Paraderolle einer einfachen jungen Frau, die verschiedenen Männern ein ganz verschiedenes Wesen vorgaukelt — wie sie es wünschen. Wie sie es verdienen ... Doch liegt am Grunde des heiteren Spiels ein Körnchen ernster Wahrheit: in der Bewußtheit der Zivilisation verdirbt die Unverdorbenheit. Alle lieben sie — und entfernen sich immer weiter von ihr...

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung