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Abrechnung mit Salzburg

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Thomas Bernhard war für Salzburgs Festspiele längst mehr als nur der große Renommiername: Hier wurden seine Stücke Der Ignorant und der Wahnsinnige“ (1972) und „Die Macht der Gewohnheit“ (1974) uraufgeführt; und er hatte damit für dieses Festival in seiner Auseinandersetzung mit dem modernen Theater weit mehr geleistet, als man dort heute anzunehmen bereit ist. Nun hatte er sein drittes „Salzburger“ Stück, „Die Berühmten“, fertig in der Lade, ein Stück, das er sich wohl mehr als die anderen „von der Seele geschrieben“ haben mag.

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Thomas Bernhard war für Salzburgs Festspiele längst mehr als nur der große Renommiername: Hier wurden seine Stücke Der Ignorant und der Wahnsinnige“ (1972) und „Die Macht der Gewohnheit“ (1974) uraufgeführt; und er hatte damit für dieses Festival in seiner Auseinandersetzung mit dem modernen Theater weit mehr geleistet, als man dort heute anzunehmen bereit ist. Nun hatte er sein drittes „Salzburger“ Stück, „Die Berühmten“, fertig in der Lade, ein Stück, das er sich wohl mehr als die anderen „von der Seele geschrieben“ haben mag.

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Daß darin manche Salzburger vorkommen, und zwar vor allem im Negativen, das beunruhigte freilich Salzburgs Festspielpräsident Josef Kaut, so daß es zu einem Gespräch, später zu einem Briefwechsel kam. Kaut wollte diese Abrechnung mit Salzburg erst einmal sehen, wie in einer Notiz des „Münchner Merkur“ zu lesen stand, ehe er das Stück zur Uraufführung annahm; Bernhard aber sah darin einen Vertrauensbruch, schrieb dem Präsidenten am 20. August einen Brief, in dem er ankündigte: „Ich brauche die Festspiele nicht“... Enttäuscht resümierte er: „Eine Zusammenarbeit mit mir auf dem Theater ist nur als eine hundertprozentige und auf einer ganz klaren Vertrauensbasis möglich; das ist in Salzburg nicht mehr gegeben ... Sie haben einer Zusammenarbeit durch ihre Schwäche und tatsächliche Unkorrektheit, wie ich jetzt weiß, die Grundlage entzogen, und in Salzburg wird von mir nichts mehr aufgeführt...“

Also schrieb Bernhard, überließ den Wortlaut dieses Briefs, dessen Veröffentlichung in einer österreichischen Zeitung von Kaut — so „Die Presse“ — mit Verfolgung durch Zeitungsbeschlagnahme bedroht wurde, der Wochenzeitung „Die Zeit“ und reichte sein Stück „Die Berühmten“ weiter nach Stuttgart, wo Theaterchef und Regisseur Claus Peymann dieser Tage mit Bernhard über eine Uraufführung verhandelt.

Doch schon fühlen sich die Salzburger erneut verunsichert. Denn nicht nur „Die Berühmten“ hat Bernhard anzubieten. Im Salzburger Residenz-Verlag erscheint in den nächsten Tagen Bernhards neues Buch „Die Ursache“ und bei Suhrkamp sein Roman „Korrektur“. Vor allem aber .Die Ursache' ist nun schon wieder ein „echtes Salzburger Buch“. Denn es ist eine Auseinandersetzung Bernhards mit den Eindrücken seiner Jugend. Es sind die quälenden Vorstellungen, die auf den Knaben Thomas Bernhard im Internat eingestürzt sein mögen, es ist seine Verlorenheit, sein Gefühl des Ausgeliefertseins, Bilder und Eindrücke, von denen er — rückblickend — sich wie von einer Last befreit hat. Und daß auch hier einige Salzburger „vorkommen“, das ist es, was nun beunruhigt.

„Die Ursache“ — Das ist ein Pamphlet gegen Salzburgs „Schönheit“, ein Trauergesang über eine unglückliche Jugend im Internat in der nationalsozialistischen Zeit, die „Leiden eines Knaben“, der, von Zeitumständen und Menschen gequält, den Gedanken an den Selbstmord zuerst nährt, schließlich aber überwindet, Salzburg — das ist für ihn dieses „Todesmuseum“, dieser „Friedhof der Phantasien und Wünsche“, an denen Erschrockene, Geängstigte, Unglückliche wie der junge Bernhard zu zerbrechen drohen.

„Der Bericht ,Die Ursache' macht klar, daß Bernhard dort, wo er verwundet worden ist, wo er Narben hat und die Splitter eigener Erfahrung und persönlicher Ungeschütztheit In ihm brennen, am zupackendsten schreibt“, analysiert Ernst Wendt. „Der Haß, der Schmerz, die offene Wunde machen ihn nicht blind, sondern sehend: Was als Schrei oder Wutanfall oder verbale Verhöhnung oder Schimpfkanonade anzufangen scheint, .beruhigt' sich in den ihm eigentümlichen Satzverklammerungen und

Sprachtänzen und Worterfindungen zur allmählichen Genauigkeit eines großen realistischen Schriftstellers. Bernhard kreist mit Wörtern ein, was er beschreiben will, er umtanzt es mit seinen Satzschlangen wie ein Medizinmann, und aus dem Rhythmus schälen sich Wortfelder heraus und ein musikalisches Klima, die zusammen im Leser ein Gefühl für den beschriebenen Gegenstand evozieren, ein Gefühl gleicher Verletzlichkeit, Erinnerungserregung, Gemütsverstörung.“

Unter diesem Aspekt muß man dieses neue Buch Bernhards sehen und verstehen, nicht als Salzburg-Pamphlet, nicht als Orgie der Empörung, nicht als Abrechnung und Racheakt. Es ist ein Buch über Verkettungen und Zusammenhänge, die zwar ganz persönlich gesehen sind, aber ein Buch, das in seiner sprachlichen Dichte, in seiner Tendenz der Verdichtung zum Erziehungsroman, weit mehr als nur ein persönliches literarisches Bekenntnis anzubieten hat.

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