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Attacke gegen Flaubert

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Das letzte Buch des vor kurzem verstorbenen Jean Amery ist einem einfachen Mann gewidmet, der zeitlebens im Schatten seiner hochberühmten Frau gestanden ist: dem Landarzt Charles Bovary. Dem redlichen, gutmütigen und gutgläubigen Gatten der faszinierenden Madame Bovary, die ihn nach Herzenlust betrogen hat. Amery beweist Mut. Er ergreift die Partei des Unglücklichen, der von seinem literarischen Schöpfer mit Spott und Verachtung bedacht worden ist. Jean Amery zieht Gustave Flaubert zur Rechenschaft. Er attackiert dessen hochmütig-misanthropische Erzählerwillkür, welche in der naiven Rechtschaffenheit des Landarztes nur den Ausdruck klein-

bürgerlicher Tölpelhaftigkeit erkennt.

Für Amery ist Charles Bovary keine lächerliche Figur, sondern eine tragische Gestalt. Mit großer Einfühlungskraft deckt er in einem kunstvoll komponierten Monolog die verborgenen Gedanken und Gefühle des von Flaubert so oberflächlich und ungerecht behandelten Gatten aufi Er zeichnet ein exaktes Psycho-gramm, das klare Charakterbild eines Mannes, der sich den exzentrischen Allüren seines Weibes aus grenzenloser Ehrfurcht unterworfen hat. „Wußte nichts anzufangen mit deinen feinen Passionen“, gesteht Charles am Totenbett seiner geliebten Emma; denn er „war und blieb ein besserer Bauernlümmel“. Doch ein Lümmel mit einer kindlich reinen Seele. Jean Amery verleiht dem Landarzt Bovary eben das, was Gustave Flaubert diesem vorenthalten hat: menschliche Größe.

CHARLES BOVARY, LANDARZT. Porträt eines einfachen Mannes. Von Jean Amery. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 1978. öS 158,-.

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