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Aufgeklärtes

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Sobald man in Kindheitstagen, beim Französischunterricht, einmal „Les Malheurs de Sophie” von Madame de Sėgur (nee Rostopchine!) bewältigt hatte, kam Bernardin de Saint-Pierres Novelle „Paul et Virginie” dran, und kultivierte Langeweile breitete sich aus.

Erst später erfuhr man dann, daß Bernardin de Saint-Pierre einer der großen französischen Aufklärer gewesen und daß „Paul et Virginie” ein klassisches Werk sei. Sophies Mißgeschicke, von der Gräfin Sė- gur-Cabanac beschrieben, waren trotz allem unterhaltender.

Die „braven” Sėgurs, nach Österreich emigriert und kaiserlich geworden, konnten ihre französischen Vettern nicht ausstehen, denn einer von ihnen war in die Dienste des Scheusals Napoleon getreten und hatte als Marschall von Frankreich sogar Linz beschießen lassen. Sie galten ihnen seither nicht mehr als Sė- gur-Cabanac, sondern als „Sė- gur-Canaille”.

Dennoch, oder eben deshalb, wurde der Baum, unter dem einst die geborene Rostöp- schin „Les Malheurs de Sophie” geschrieben hatte, mit einem Zaun umgeben und zum nationalen Denkmal Frankreichs erklärt. Bernardin de Saint-Pierres Novelle hingegen, über der einst Marie-Antoinette, die Folgen nicht voraussehend, Tränen vergossen hatte, wurde von den Franzosen unter Aufgebot von viel Landschaft und von vielen Kostümen verfilmt, und unser ORF sendet diese Serie mit rührender Unverdrossenheit.

Wahrscheinlich ahnen die Österreicher, die ja ihren Joseph ü. dank seinem Bruder Leopold gut verkraftet haben, gar nicht, was das alles eigentlich soll. Bernardin de Saint- Pierre glaubte wirklich reinen Herzens daran, daß es nur des schönen Götterfunkens bedürfe, um zu binden, was „die Mode streng geteilt” hat. Der Mensch, glaubte er, sei wirklich allenthalben und jederzeit gleich, und vor allem gut von Natur aus.

Mittlerweile hat es sich allerdings sogar in den weltverlassensten Logen des amerikanischen Mittelwestens herumgesprochen, daß die Dinge ein wenig komplizierter sind als die großen Meister von einst sich das vorgestellt haben. Aber der schöne Schein muß doch wenigstens gewahrt werden, und man glaubt mit Paul und Virginie, daß alle Menschen, wenn auch „z’wi- der”, dennoch Brüder seien.

Vielleicht hilft’s.

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