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Beachtlicher Erstling

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Der Erstlingsroman der jungen Schweizerin Claudia Storz erregte Aufsehen bei der Literaturkritik. Zu Recht. „Jessica mit Konstruktionsfehlern“ ist die Biographie eines Leidens, mehr noch, ein Roman, der auch hohen künstlerischen Maßstäben gerecht wird, ein Stück guter Literatur.

„Jetzt weiß ich, was Jessica heißt: Yes, I can“, steht an irgendeiner Stelle im Roman, scheinbar belanglos hingeschrieben, ein unbedeutender Nebensatz. Und doch könnte er als Motto über dem Ganzen stehen. Dabei hat sie ihren Namen immer gehaßt, weil er so fremd klang, weil er sie isolierte von den anderen. „Jessica mit Konstruktionsfehlern“; eine bitterböse Bezeichnung für einen kranken Menschen .'.. Jessica, Germanistikstudentin, hat ein unheilbares Darmleiden -Morbus Crohn. Ein schwerwiegender „Konstruktionsfehler“, denn sie kann kaum gehen, nichts unbeschwert tun, muß ständig aufpassen, Verbände wechseln, Blutungen stillen. Ein Leidensleben.

Jessica hatte auch eine Beziehung zu einem Mann - fast ein Jahr lebten sie zusammen -, mit dem sie „ihre Einsamkeit teilen“ konnte, der sie verstand, sie tröstete, bis er ausbrach. Für Jessica brach eine Welt zusammen -sie war allein. Doch sie gibt nicht auf, fährt allein nach Griechenland, läßt sich Demütigungen gefallen, setzt sich durch. Dann geht sie nach England, lebt bei drei alten Frauen, kehrt nach Hause zurück, studiert weiter. Sie möchte ausbrechen aus der „invaliden Isoliertheit“, befreundet sich auf ein Inserat mit einem gehbehinderten jungen Mann, redet, besucht Feste, will sich ihrer Umwelt stellen. Ihre Krankheit hat sie akzeptiert, den drohenden Zusammenbruch, die Aussicht auf weitere Spitalsaufenthalte und Infusionen. Denn „Jessica heißt Yes, I can“.

Man ist betroffen von der Ehrlichkeit und den Erlebnissen dieser jungen Frau. Eine, die trotz ihrer „Konstruktionsfehler“ leben will, sich nicht bemitleidet. Die Biographie wird nicht chronologisch erzählt, sondern ist zerrissen in Einzelepisoden, Rückblenden, in Träume und Gespräche. Ein Erlebnismosaik. Die Zeit verliert dabei ihre Dimension, wird unwichtig, genauso fragmentarisch wie die Persönlichkeit der Autorin. Doch Storz sieht sich nicht isoliert, sie bezieht die Umwelt mit ein, ihre Familie, ihren Bruder, der genauso leidet wie sie selbst, auch wenn et keine physische Krankheit hat, ihren Vater, ihre Freunde.

Für einen Erstling ist der Roman beachtlich konzipiert, hinter den scheinbar frei und locker hingeschriebenen Assoziationen verbirgt sich eine genaue Konstruktion. Ein innerer Ablauf, könnte man sagen. Dem entspricht auch der Stil, der bewußt sprunghaft, durch Dialoge unterbrochen, den jeweiligen psychischen Zustand der Autorin widerspiegelt. Sie will nicht analysieren, reflektieren, sie

beschreibt einfach, schildert und beobachtet dabei genau. Ledigüch wo sie ihre Träume schildert, weicht sie aus, flüchtet sich auf eine oft peinlich oberflächliche Symbolebene, die seltsam mystifizierend und kitschig wirkt. Dabei hätte sie diesen Zwang zur scheinbaren Dichte gar nicht nötig.

JESSICA MIT KONSTRUKTIONSFEHLERN. Roman von Claudia Storz. Verlag Benziger, Zürich 1977, öS 184,80.

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