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Das Tor

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Als bald nach 1950 „Rasho-mon" durch die Kinos lief, taten alle Kritiker, als wüßten sie Bescheid und als seien ihnen die Namen japanischer Regisseure und Darsteller längst geläufig. In Wirklichkeit waren die Kritiker ebenso verblüfft und hingerissen wie unsereiner.

Das japanische Meisterwerk hieß, als es zum erstenmal vom ORF ausgestrahlt wurde, in deutscher Fassung noch „Das Höllentor". Kürzlich, als Wiederholung, hieß es „Das Tor der guten Geister". Beides ist natürlich Unsinn. Es handelt sich um das Tor zum Unterbewußten, zu jenem Bereich, in dem die Verdrängungen und Mythologisierungen stattfinden.

Eine Schreckenstat (Vergewaltigung, Zweikampf, Mord und Raub) wird von jedem der daran Beteiligten anders erlebt. Vom Straßenräuber als Triumph seiner Vitalität. Von der Frau als ritualisiertes Ballett (unter Bolero-Klängen!), vom Adeligen als Schicksalstragödie, vom Proletarier als Erniedrigung aller, auch seiner selbst.

Lügen sie alle?

Der Priester, der (als Hüter der Schwelle) unter dem Tor ausharrt und zuhört, meint verzweifeln zu müssen, siegt aber am Ende mit seinem Glauben an das Gute und rettet den weggelegten Säugling (die Menschheit). Und durch Vertrauen zwingt er den Proletarier, Gutes zu tun.

Nach der Shinto-Religion vermag sich das Göttliche überall und jederzeit zu manifestieren: in der edlen Form des Berges Fudji ebenso wie im Rauschen des Nachtregens. Im Aufblitzen der Sonne zwischen Baumkronen (wie zu Beginn des Films „Rasho-mon") ebenso wie in der Person des Kaisers.

Das ist zugleich so primitiv und so durchgeistigt, daß humanitäre amerikanische Puritaner es für Götzendienst hielten. Als Sieger hatten sie denn auch nichts Eiligeres zu tun, als es abzuschaffen. Sie-schenkten den Japanern dafür das, was Katz „Die drei Gesichter Luzifers" nannte: Lärm, Maschine, Geschäft.

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