7066610-1992_06_16.jpg
Digital In Arbeit

Der Beistrich

Werbung
Werbung
Werbung

Der Autor sitzt beim Redakteur der Monatszeitschrift. Sie besprechen das Thema eines Beitrags fürs übernächste Heft.

Da sieht der Autor auf dem Tisch des Redakteurs seinen schon gesetzten Artikel, den er für die nächste Nummer geschrieben hat. Und er liest, verkehrt tut er's, einen Satz, den er da einen gewissen Hans sagen läßt: „Ich weiß nicht, warum."

„Pardon", sagt der Autor zum Redakteur, „ich sehe da zufällig meinen nächsten Artikel. Den Satz ,Ich weiß nicht warum' habe ich aber ohne Beistrich geschrieben."

„Ich weiß", sagt der Redakteur. „Drum habe ich ihn ja eingesetzt."

„Ich will hieraberkeinen Beistrich", sagt der Autor.

„Aber es ist korrekt, wenn hier ein Beistrich gesetzt wird", sagt der Redakteur.

„Sie mögen rein grammatikalisch rechthaben", sagt der Autor, „aber hier, im konkreten Fall, will ich keinen."

„So", sagt der Redakteur, „Sie wollen keinen. Seien Sie doch froh, daß ich Ihnen bloß den Beistrich ausgebessert habe. In Wirklichkeit sollte man den ganzen Satz ändern. Es ist nämlich nicht einzusehen, daß Hans sagt ,Ich weiß nicht, warum'. Er weiß es nämlich sehr wohl. Das geht aus dem Zusammenhang hervor."

„So", sagt der Autor. „Er sagt aber trotzdem ,Ich weiß nicht warum'. Er sagt es. Und noch dazu ohne Beistrich."

„Solange ich hier Redakteur bin, erscheinen auf den von mir redigierten Seiten nur Sätze und Artikel mit einwandfreier Interpunktion. Ich komme Ihnen ohnehin schon beim Inhalt entgegen. Denn kein Leser wird verstehen, wieso Hans ,Ich weiß nicht, warum' sagt. Eigentlich müßte er ,Ich weiß, warum' sagen. Aber ebenfalls mit Beistrich."

„Solange ich der Autor meiner Beiträge bin", sagt hierauf der Autor, „erscheinen meine Beiträge mit oder ohne Beistrich, dort wo ich einen oder keinen setze. Und Hans weiß eben nicht warum. Ob mit Ihrem Entgegenkommen oder ohne es. Aber jedenfalls ohne Beistrich."

„Tut mir leid", sagt der Redakteur, „auf dem Beistrich muß ich bestehen."

„Dann schreiben Sie sich Ihre Beiträge doch selber!" ruft da der Autor. „Meinetwegen schreiben Sie eine ganze Seite lang nur Beistriche!" Und er nimmt seinen Artikel für den nächsten Monat und auch den für den übernächsten Monat vom Tisch des Redakteurs und verläßt, türzuknallend, das Zimmer.

Der Chefredakteur steckt den Kopf herein. „Warum ist denn der so wütend davongerannt?" fragt er.

Und obwohl er's doch ganz genau weiß, sagt der Redakteur: „Ich weiß nicht warum." Noch dazu sagt er es atemlos und daher ohne Beistrich.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung