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Der „Lappen“ neues Selbstbewußtsein

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Das Wort „Lappen“ ist bei Nordskandinaviens Urbevölkerung verpönt Dieser Name wurde ihr von jenen gegeben, die aus dem Süden in die samischen Jagd- und Siedlungsgebiete vordrangen, die die in vorchristlicher Zeit aus dem Osten eingewanderten Sami der Krone unterwarfen und steuerpflichtig machten. Sie selbst nennen sich Sami.

Vor noch nicht allzu langer Zeit schien die samische Kultur wie die samischen Sprachen zu verschwinden, und es gab kaum jemanden, den das störte. Die „Lappen“ zu guten Schweden, Norwegern und Finnen zu machen, war bis in die frühen Nachkriegsjahre die offizielle Minderheitenpolitik.

Heute ist das anders. In samischen Schulen ist Samisch erste Unterrichtssprache, und samische Kinder lesen Pippi Langstrumpf ebenso auf samisch wie Erzählungen samischer Sagendichter. Als in den sechziger Jahren Gastarbeiter aus Südeuropa und Asien in Schweden einwanderten, erinnerten sich der Staat und seine Bewohner daran, daß es auch im Norden des eigenen Landes eine Minderheit gab, und die großzügige Förderung, die der

Staat fremden Kulturen gewährte, kam auch der urskandinavischen zugute.

Gleichzeitig begann ein Umdenken in der samischen Bevölkerung. Hatten vor allem die jungen Mitglieder der Minderheit bis dahin versucht, ihre Wurzeln zu verdrängen und sich möglichst stark zu assimilieren, so war die nächste Generation stolz auf ihre Herkunft. Es lag im Trend der Zeit: Das „samische Bewußtsein“ wurde stark.

Das führte zu neuen Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht, die noch lange nicht beendet sind. Die 50.000 Sami, von denen etwa 30.000 in Norwegen leben, 15.000 in Schweden imd 5000 in Finnland, erheben Ansprüche auf das seit jeher von ihnen besiedelte Land, was Konflikte mit der Holzindustrie auslöst, die die Wälder abholzen will, in denen die Sami ihre Rentiere weiden lassen, Konflikte mit den ElektrizitätsgeseU-schaften und dem Fremdenverkehr, die das „Samiland“ für ihre Zwecke nützen wollen, und Konflikte mit den Bewohnern, die zwar nach der Urbevölkerung nach Lappland gezogen, aber nun auch seit langem dort leben.

In Norwegen und Schweden haben die Sami Jagd- und Fischprivilegien in den von ihnen bewohnten Gegenden erhalten. Nur sie dürfen Rentiere züchten. Das Eigentumsrecht über ihr Land aber hat der Staat ihnen vorenthalten.

Als Norwegens Sami gemeinsam mit Umweltschützern gegen den Bau eines Kraftwerks am Al-ta-Fluß protestierten, endete ihre Aktion zwar mit einer Niederlage. Doch als Folge davon richtete Norwegen ein „Samiparlament“ ein, durch das die von der Minderheit gewählten Vertreter ein Mitspracherecht in allen sie betreffenden Fragen bekommen werden. Auch in Finnland haben die Sami eine gewählte Delegation, die die Regierung in Minderheitenfragen berät.

Und ein „Sameting“, in dem samische Vertreter aus ganz Nordskandinavien gemeinsame Probleme beraten, tagt jedes Jahr. Sein wichtigstes Thema war zuletzt die Rentierzucht, die nach der Atomkraftkatastrophe von Tschernobyl in eine existenzbedrohende Krise geriet. Der radioaktive Niederschlag verseuchte das Weideland in Mittelsktmdi-navien.

Ein Teil der seither geschlachteten Tiere ist für den menschlichen Verzehr wegen überhöhter Caesiumwerte ungenießbar. Aber auch für unverseuchte Rene gibt es kaum noch Käufer, weil Renfleisch seither ^als „gefährliche Nahrung“ verrufen ist.

Für die Sami ist das mehr als die Bedrohung des wichtigsten Broterwerbs. Auch wenn nur jede fünfte samische Familie selbst Rentiere hält, ranken sich Kultur, Geschichte, Sprache und Literatur in so hohem Maß um das Ren, daß Samivertreter bekümmert sagen, mit der Rentierzucht würde die samische Kultur verschwinden.

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